Dienstag, 21. Dezember 2021

Es müssen nicht Menschen mit Flügeln sein...

(Foto: unsplash)


Wenn du jetzt auf Weihnachten zugehst,
dann sei aufmerksam.
Vielleicht begegnet dir jemand
und ist Engel für dich.  
Ein Engel der hilft, tröstet, liebt, zuhört, erinnert,
Suppe kocht, vorliest, anruft,
einen Brief schreibt und nicht nur eine Mail.
Sekt vorbei bringt und Vanillekipferl.
Die Kinder hütet oder deine Seele.

Wenn du jetzt auf Weihnachten zugehst,
dann sieh dich um.
Vielleicht begegnet dir jemand
und braucht dich als Engel.  
Als Engel der hilft, tröstet, liebt, zuhört, erinnert,
Suppe kocht, vorliest, anruft,
einen Brief schreibt und nicht nur eine Mail.
Sekt vorbei bringt und Vanillekipferl.
Die Kinder hütet oder die Seele.

Wenn du jetzt auf Weihnachten zugehst,
dann lass dich beflügeln
und sei gesegnet
und ein Segen.

Amen.

 

Sonntag, 24. Oktober 2021

An diesem Dienstag.


Gottesdienst in Bodelshofen
am 24.10.2021

Matthäus 10,34-39 

Die Woche hat einen Dienstag.

Das Jahr ein halbes Hundert.

Das Leben hat viele Dienstage.

(In Anlehnung an „An diesem Dienstag“ von Wolfgang Borchert; Fotos: Unsplash) 


An diesem Dienstag
sitzt Nele am Küchentisch.
Der Kaffee dampft aus der Tasse.
Draußen hüllt der Herbstnebel
alles in dunkles Grauweiß.
Die Kirchturmuhr schlägt vier Mal
und dann sieben Mal.
Ein Blick aufs Handy –
Leo hat sich heute noch nicht gemeldet.
Sie scrollt einmal durch.
Instagram.
Viele Fotos.  
Von Vielen.
An einem bleibt sie hängen.
Ein Foto unter vielen.
Ein christliches – so mit Bibelvers.
Eine Friedenstaube, gemalt auf eine Mauer.
Ein Schwert.
Und ein: „Jesus sagt“.
Nele schaut irritiert aus dem Fenster.
Sie muss nachlesen.
Wenn sie heute Mittag wieder zu Hause ist.
Vor dem Fenster frisst eine Taube
ein Stück weggeworfenes Brot.  

    Die Woche hat einen Dienstag.
    Das Jahr ein halbes Hundert.
    Das Leben hat viele Dienstage.

An diesem Dienstag
steht im Matthäusevangelium
wie an allen Dienstagen seit unserer Zeitrechnung:

Denkt ja nicht, dass ich gekommen bin, um Frieden auf die Erde zu bringen!
Ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert.
Ich bringe Streit zwischen einem Sohn und seinem Vater,
einer Tochter und ihrer Mutter,
einer Schwiegertochter und ihrer Schwiegermutter.
Die engsten Verwandten eines Menschen werden dann zu seinen Feinden.
Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich,
ist es nicht wert, zu mir zu gehören.
Und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich,
ist es nicht wert, zu mir zu gehören.
Wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und mir folgt,
ist es nicht wert, zu mir zu gehören.
Wer sein Leben erhalten will, wird es verlieren.
Aber wer sein Leben verliert, weil er es für mich einsetzt, wird es erhalten«

Jede Woche hat einen Dienstag.
Das Jahr ein halbes Hundert.
Das Leben hat viele Dienstage,
an denen man sein Leben
verlieren und
erhalten kann.

An diesem Dienstag
sitzt Leo im Zelt auf einem Hocker.
Vor ihm sitzt Aleschi auf einem anderen Hocker.
Und hält ihm seinen Fuß entgegen.
Leo versorgt die eiternde Wunde
und versucht, sich mit dem Jungen zu unterhalten.
Ihn abzulenken von den Schmerzen,
während er das Pflaster abreißt.
8 Jahre alt ist er vielleicht.
Und so viel hat er schon gesehen
auf seiner Flucht:
Wunden an Beinen und Köpfen.
Gliedmaßen ohne den dazugehörigen Menschen.
Vertrocknetes Leben.
Zerstörte Träume.
Den Tod hat er gesehen, gehört und gerochen.
Und an manchen Tagen auch geschmeckt
an seinen eigenen trockenen Lippen.
Aber jetzt ist er bei Leo.
Und Leo macht mit ihm Faxen,
verbindet seine Wunde,
füllt die Wasserflasche auf.
Und gibt ihm eine Packung
portioniertes Knäckebrot.
Aleschi lacht, als Leo Grimassen schneidet.
Leo lacht mit.
Wenn er sich umsieht,
hier im Lager auf Moria,  
vergeht ihm das Lachen.
Wunden an Beinen und Köpfen.
Menschen ohne Beine oder Arme.
Ausgemergelt und mit stumpfen Augen
und vertrockneten Seelen.
Leo kann helfen.
Ein bisschen Frieden auf Erden machen.
Ein bisschen nur.
Wasser und Brot teilen.
Und lachen.
Immer wieder schickt er WhatsApps nach Hause.
Heute ein Foto von sich – zusammen mit Aleschi,
der stolz seinen weißen Verband zeigt.
„Cool, dass du ein bisschen Frieden für den Jungen machst!“
schreibt Nele zurück.
Und: „Du siehst ein bisschen aus wie Jesus“

     Die Woche hat einen Dienstag.
     Das Jahr ein halbes Hundert.
     Das Leben hat viele Dienstage
     um andere zum Lachen zu bringen.
     Um Wunden zu verbinden und
     Brot zu teilen.

 An diesem Dienstag
kam die Nachricht aus dem Krankenhaus.
„Sie wird nicht mehr lange leben,
und sie will Sie unbedingt sehen.“
Der Kontakt war noch nie besonders gut
zwischen Inge und Gudrun.
Vieles wurde nie ausgesprochen.
Oder es lag ein scharfer Ton in der Luft.
„Niemals werden die klarkommen,
wenn du nicht konsequenter bist!“
Gudrun hatte die Worte ihrer Mutter noch im Ohr.
Wie ein Schwert trafen sie damals.
Wahrscheinlich auch heute,
wenn sie so drüber nachdenkt.
Obwohl aus beiden Kindern was geworden ist.
Sie ist stolz auf Nele und Leo,
die wissen, was sie können
und was ihnen wichtig ist.
Wahrscheinlich hat auch sie ihre Mutter
vor den Kopf gestoßen
mit Schwert-Worten.
Mit ihrer liberalen Vorstellung davon,
wie man Kinder erzieht.
Und mit ihrem Hang zu Freiheit und Demokratie.
Ihre Kinder kommen ganz nach ihr.
Leo kümmert sich um geflüchtete Kinder.
Nele will nach dem Abi Politik studieren.
„Damit die Welt ein bisschen besser wird“,
wie sie so schön sagt.
Inge findet nach wie vor, Jungs sollen Geld verdienen
und Mädels heiraten und Kinder kriegen.
Gudrun seuzt.
Sie wird ihre Mutter nicht mehr davon überzeugen,
dass diese Einstellung keine Hilfe ist.
Nicht für sie – und auch nicht für Nele und Leo.
„Ob es wohl die letzte Begegnung ist?“
Gudrun weiß nicht was sie hoffen soll
oder erwarten kann.
Und fährt ins Krankenhaus.

    Die Woche hat einen Dienstag.
    Das Jahr ein halbes Hundert.
    Das Leben hat viele Dienstage.
    Aber nicht mehr,
    wenn der Abschiedsschmerz 
    schon zu spüren ist.


An diesem Dienstag
sitzt Bernd auf dem Sofa.
Das Handy liegt neben ihm.
Eingeschaltet.
Es zeigt ein Foto von Leo
und einem Jungen,
mit weißem Verband am Bein
und Knäckebrot in der Hand.
Seit 7 Monaten ist sein Sohn dort.
In einem Lager.
Bei den Menschen, denen sowieso
nicht zu helfen ist.
Was ändert sich denn in der Welt,
wenn die jetzt alle zu uns kommen?
Es sind arme Menschen. Keine Frage.
Aber das sein Leo freiwillig dorthin geht,
erträgt er nicht.
Längst könnte er nach seinem Studium
gutes Geld verdienen.
Ein Häusle bauen.
Eine Familie gründen.
Aber für Leo ist es wichtiger, die Welt zu retten.
Bernd kann das nicht nachvollziehen.
Heute ist Dienstag
und sie werden bei der Musikverein-Probe
nach Leo fragen.
Ob er immer noch keinen Job hätte.
Und dann muss Bernd wieder
die Geschichte von der Weltreise erzählen.   
„Was musst ausgerechnet du einen auf Jesus
und Frieden auf Erden machen?“
ist die erste Chatnachricht,
die Leo nach Monaten von seinem Vater bekommt. 


     Die Woche hat einen Dienstag. 
     Das Jahr ein halbes Hundert.
     Das Leben hat viele Dienstage.
     Dienstags ist Probe im Musikerheim.
     Und Kinder wie Leo sind manchen Eltern
     unangenehm.



An diesem Dienstag
geht Nele joggen.
Nein. Nele rennt.
Das hilft ihr, den Kopf frei zu bekommen.
„Was musst ausgerechnet du einen auf Jesus
und Frieden auf Erden machen?“
Auf dem Weg zurück liest sie Bernds Nachricht
im Familienchat.
„Mensch Papa! Wenn schon nicht Frieden in der Familie,
dann wenigstens Frieden auf Erden!“
antwortet Nele.
Mit einem Wut-Smiley dahinter.
Leo antwortet mit „Daumen hoch“
und einem Heul-Smiley.
Zu Hause angelt Nele ihre Konfi-Bibel vom Regal
und schlägt sie auf.
Sie liest vom Frieden. Vom Schwert. Von Familie.
Von Vater, Mutter, Sohn und Tochter.
Und davon,
dass der Familienfrieden
gewaltig schief hängen kann.
„Ein bisschen ist das wie bei uns“, denkt sie laut.
„Eigentlich ist es kein Wunder, dass alles ist, wie es ist." 

    Die Woche hat einen Dienstag.
    Das Jahr ein halbes Hundert.
    Das Leben hat viele Dienstage.
    Und Familie
    ist auch am Dienstag schwierig.

An diesem Dienstag
sitzt Gudrun am Bett.
Ihre Mutter atmet schwer. 
Das rote Seidentuch liegt neben ihrer Wange.
Die Lippen sind trocken und
Gudrun befeuchtet sie mit einem nassen Waschlappen.
Leise klopft es an der Tür.
Frau Kolb bringt Brot und Wein in einem Korb.
So wie Inge sich das am Morgen
mit wenigen Worten gewünscht hat.
Gudrun räumt ihren Platz an der Bettkannte
und will sich auf den Stuhl in der Ecke setzen.
„Nicht doch! Brot und Wein ist für uns alle.“
Mit einladender Geste
holt Frau Kolb Gudrun zurück.
An ihren Platz an der Bettkante.
Weiches Brot findet sie in ihrer Hand wieder
und in der Hand ihrer Mutter.
Ein paar Krümel fallen auf das rote Seidentuch. 
Schweigend essen sie Brot,
als Gudrun leise, aber deutlich, hört:
„Friede mit dir.“ 
Aus dem Mund ihrer Mutter
klingen diese Worte fremd.
„Friede mit dir“
Und ein Seufzer.
Für Wein ist keine Zeit mehr.
Das Gesicht fällt zur Seite ins rote Seidentuch.
Und zu den Brotkrümeln.
Gudruns Welt steht für einen Moment still.

    Die Woche hat einen Dienstag.
    Das Jahr ein halbes Hundert.
    Das Leben hat viele Dienstage.
    Und der Tod auch.

 

An diesem Dienstag
ist Bernd im Vereinsheim.
„Hast du was von Leo gehört?“
„Ja!“, murmelt Bernd.
„Er bleibt wohl länger dort.“
„Wo?“
„Da, wo er gebraucht wird.“
Nele traut ihren Augen nicht,
als sie spät am Abend im Chat liest:
„Leo, ich bin stolz auf dich! Gruß, Papa“
„Wir sehen uns bald“ schreibt Leo zurück, 
und: „Zu Omas Beerdigung bin ich da.“
Gudrun liest auch mit.
Ein paar Tränen rollen über ihr Gesicht.
Sie denkt an Inge.
Und daran, wie schwierig manches war.
Für alle.
Dass auch sie manchmal nur
Schwert-Worte übrig hatte.
Die Kirchturmuhr schlägt vier Mal
und dann elf Mal.
Nebel zieht auf.
Der Mond scheint durchs Fenster
und draußen ruft ein Kauz in die Nacht.


    Die Woche hat einen Dienstag.
    Das Jahr ein halbes Hundert.
    Das Leben hat viele Dienstage.
    Aber an diesem Dienstag
    ist Frieden geworden.

Amen.


Lied:  Wo Menschen sich vergessen, die Wege verlassen (NL+ 93,1-3)




Leben gibt es geschenkt!

Erntedank-Gottesdienst im Seniorenzentrum Taläcker 

am 28. September 2021


Ein großer Schrank, am Straßenrand.
Er ist etwa so hoch wie ich.
Und er hat weit geöffnete Türen nach beiden Seiten.
In seinem Inneren sind zwei Regalbretter.
Auf diesen Brettern liegt, was im Garten wächst:
Kartoffeln, Mini-Äpfel und Karotten in Tüten.
Kohlrabi, so groß wie Fußbälle
und Zucchini in allen Größen.
Erbsen und Bohnen, abgefüllt in Pappschalen.
In Einmachgläsern stehen riesige Petersilienbündel -
ich nenne sie immer „Küchensträuße“.
Und ein paar handgezogene Grünlilienstecklinge
in Joghurtbechern stehen da auch.
Unten im Regal liegt Brennholz für den Kaminofen.
Vor den geöffneten Türen
liegen Kürbisse in gelb und grün.
Da steht ein Eimer mit Grünkohl.
Und weil da ein Korb mit
roten und gelben Zwiebeln steht,
bleibt die Tür auch bei Wind offenstehen.
Zwischen all dem Gemüse
steht ein leeres Marmeladenglas
mit rostigem Schraubdeckel.
Da hinein legt man das Geld.
So viel, wie in krakeliger Schrift
auf den kleinen Klebeetiketten steht.
Oder auf den vergilbten Preislisten,
die mit rostigen Reißnägeln an die Tür gepinnt sind.
10 Kronen für eine Tüte Karotten.
und 25 Kronen für eine Tüte Kartoffeln.
Wieviel in den Tüten drin ist, weiß man nicht so genau.
Das ist auch unterschiedlich und nicht so wichtig.
Der Kilopreis variiert,
der Tütenpreis steht fest.
Manchmal verirrt sich auch ein Stein in den Kartoffeln.
Das ist in dieser Gegend nicht weiter schlimm.  
Dort weiß man:
Kartoffeln und Steine
sehen sich manchmal zum Verwechseln ähnlich.
Seither nennen wir die Kartoffeln „Steingemüse“.

Ich sage immer: Das ist mein Lieblings-Supermarkt.
Dort am Straßenrand,
in einem kleinen Dorf in Dänemark.
Jeder Besuch ist eine Überraschung.
Denn ich weiß nie, was es gibt.
Wieviel in den Tüten ist.
Ob ein Stein drin ist oder nicht.
Sicher ist nur: Es gibt immer Kartoffeln.
Die Box mit frischen Eiern ist immer leer.
Und es gibt immer irgendein Gemüse.
Gewachsen im Garte,
der zu diesem Schrank gehört.
Und zu diesem Haus.
In dem Menschen leben,
die Gemüse anbauen.
Überraschungsgemüse.
Täglich neu und frisch geerntet.

Jahr um Jahr
und Tag um Tag  
steht dieser Schrank am Straßenrand.
Ehrlich gesagt kann ich mich nicht daran erinnern,
wann er mir zum ersten Mal auffiel.
Wann ich zum ersten Mal
dort angehalten und gestaunt habe
über diese Mengen an Petersilie und Kartoffeln.
Und Rote Rüben in Herzform. 
Nie habe ich diesen Schrank leer angetroffen.
Oder gar verschlossen.
Dort am Straßenrand.
In meiner kleinen Welt gibt es ihn
schon immer.
Jahr um Jahr.  
Die Welt dreht sich weiter,
aber dieser Schrank steht da
mit seiner ganzen Fülle.

Ganz am Anfang der Welt gab Gott ein Versprechen.
Erntedank erinnert mich daran.
Und dieser Schrank in Henneby erinnert mich daran.
Er erinnert mich an das Versprechen Gottes.

Solange die Erde sich dreht, wird Leben sein:
Immer wieder wird kommen
Saat und Ernte,
Frost und Hitze,
Sommer und Winter,
Tag und Nacht. 
(1. Mose 8,22)

Der Schrank ist gefüllt.
Und mein Leben auch.
Das Leben geht weiter.
Wir Menschen gehen weiter.
Gott geht weiter.

Deshalb heißt Erntedank auch:
Für mich geht es weiter.
Für mich ist gesorgt. 

Gott sagt:
ich geb dir die Welt.
Einfach so.
Sie dreht sich.
Für dich und mich.
Und für uns alle.

Dafür muss ich auch nichts
in ein Marmeladenglas legen
mit rostigem Schraubdeckel. 

Leben gibt es geschenkt.  
Amen.

Sonntag, 5. September 2021

Urlaubsnotiz: Palermo, Oksbøl, Afghanistan und zurück.

 


Die dänische Westküste ist ein Sammelsurium deutscher Kriegsgeschichte.
Wer sich daran stört, sollte hier nicht Urlaub machen.
Ich mache hier Urlaub seit ich 7 Jahre alt bin.
Dieser Ort ist mir zur Heimat geworden.
Auch wenn es manchmal ist wie Geschichtsunterricht.
Zu Worten wie
„Atlantikwall“
„Minenräumung in Skallingen“
„Tirpitz“
„Büffelstellung“
„Vogelnest“
„Bunkerpferde, die keine Pferde sondern Maultiere sind“ und
„Dicke Berta“
können sogar kleine Kinder etwas sagen.
Nicht nur die dänischen – auch die Touristenkinder,
sofern der elterliche Horizont nicht
am Indoorspielplatz des Hvidbjergstrand-Campingplatzes endet.
(Kommt allerdings auch vor.)
Spätestens wenn man sich diesem Flecken Erde geocachend nähert,
wird man an diese Orte geführt,
an die man eigentlich nicht will, wenn die Seele Urlaub hat.
Aber in Bunkern lässt sich schön viel verstecken.
Und an irgendwelchen Mahn- und Denkmalen auch.
Teilweise unterlegt das dänische Militär diese Art Bildungsurlaub
mit täuschend echtem Originalsound.
Nebenan ist nämlich der Truppenübungsplatz.
Bombenabwurf- Übungen aus tieffliegenden Militärfliegern
und artellerieschießende Panzer im Vorgarten
gehören hier quasi zum Alltag.
Nur Blåvand- Ersttäter*innen reiben sich verwundert die Augen
 – und kommen nie wieder –
oder zucken gelassen mit den Schultern und gehen zur Tagesordnung über,
auch wenn das Geschirr im Schrank klirrt.
Wer hier sesshaft wird,
ist eher irritiert, wenn es nicht ständig rummst (wie zur Zeit),
freut sich aber, wenn die Panzerpiste offen ist und
von normalen Menschen in normalen Autos befahren werden darf (Ich. Heute.)

Soweit das Vorwort.

Nun also zu dem, was ich heute erlebt habt.
Auch nach achtunddrölfzig Urlauben hier in diesem Revier
gibt es Ecken, die man noch nicht gefunden hat.
Oder solche, die mich noch nicht gefunden haben.
Man hat schonmal davon gehört. Und weiß, dass es da ist.
Aber man war noch nie dort.
So der Soldaten- und Flüchtlingsfriedhof in Oksbøl .
Er liegt nicht an der Rennstrecke, sondern etwas abseits.
Man muss dahin wollen.
Und einmal abgesehen davon, dass dort ein Geocache lag,
der gehoben werden wollte,
war heute ein Tag,
an dem genau dieser Ort auf meinen inneren Plan gerufen wurde.
Es mag Zufall sein oder nicht,
dass der ZDF-Fernsehgottesdienst aus Palermo heute früh stattfand. (Klick)
Und die Sea-Eye 4 heute 29 Menschen,
davon 4 Babies und 2 hochschwangere Frauen,
an Land bringen konnte.
Es mag Zufall sein oder nicht,
dass ich ausgerechnet heute auf die Idee kam,
alleine loszuziehen
ohne quengelnde oder bellende Begleitung,
(was beides auf Friedhöfen grundsätzlich irgendwie lästig und unerwünscht ist).
Jedenfalls war ich in Oksbøl.
Und nach dem Kauf von SexintheBottle- Bier, Dild- Chips und Bio-Zucchini.
Und nach dem Palermo-Gottesdienst.
Und nach den guten Nachrichten von gestern und heute,
dass die Sea-Eye 4 retten und anlegen konnte,
entschied ich mich,
links abzubiegen,
dahin, wo ich in 36 Jahren noch nie abgebogen bin. 
Oder zumindest erinnere ich mich nicht daran.


Der Cache war schnell erledigt.   


Und so blieb Zeit für den Friedhof.
Die Gräber.
Eines am anderen.
1800 Stück.
1675 Geflüchtete.
125 Soldaten.
1800 Menschen.
1800 Geschichten.
1800 Familien, die trauerten.

Hier, in Oksbøl, wurden sie aufgenommen.
Deutsche.
Fliehend aus dem Osten.
Über das Meer.
Viele von ihnen kamen nie an.
Ertranken in der Ostsee.
Aber viele wurden gerettet.
Und an Land gebracht.
Dänemark war Palermo.
Palermo heute ist

das Dänemark von damals.

Was damals                                                            
das Flüchtlingslager in Oksbøl war
für die Deutschen,
ist heute Camp Moria für Menschen
aus Gambia, Syrien, Afghanistan.

50 Jahre danach:
Deutsche danken Dänemark.
Steht da auf dem Stein,
neben dem gepflanzten Ginkgo.
Das war 1997.

Heute, 74 Jahre danach: Frage ich mich,
warum wir in Deutschland überhaupt diskutieren,
ob man Menschen rettet oder nicht.

Ich frage mich, was schief läuft,
wenn mit zynischen Kommentaren reagiert wird
auf die Rettung von Menschen aus Seenot.

Ich frage mich, wie es dazu kommt,
dass wir Angst haben müssen, dass Parteien an die Macht kommen,
die das hier alles leugnen und als Vogelschiss abtun.

Ich lese von Anna Rutkowski aus Liewenberg,
deren Zwillinge auf der Flucht geboren wurde,
aber nicht überlebten.
Und denke an das Baby,
das letzte Woche
im Flugzeug bei der Flucht aus Afghanistan
geboren wurde.
Es lebt. Gott sei Dank!               

                                              

Ich lese von Erwin Drewes,
der die Flucht 1939 nicht überlebt hat,

weil das Vorpostenboot auf eine Seemine traf. 
Dänische Fischer bargen seinen Leichnam.
Und heute Nachmittag las ich
unter einem Facebook-Post von Sea-Eye von Hadeel, der schreibt:
„Ich brauche deine Hilfe.
Mein Bruder ist am Donnerstag, 27. August ertrunken,
als das Boot auf See kenterte.
Wir erhielten Nachricht von der libyschen Küstenwache,
dass du um Zeitpunkt des Unfalls Menschen gerettet hast.
Ich möchte sicher gehen, dass du Menschen gerettet hast oder nicht…“

Ich lese von Familie Büssow,
die 1945 ihren Hof in Puppendorf verlassen musste.
Über Oxhöft und die Halbinsel Hela gelangen sie nach Kopenhagen.
„Die Überfahrt war ein einziges Risiko,
überall lauert der Russe mit seinen Torpedo-Booten.“
Und ich denke an die vielen gehässigen Kommentare
zur Seenotrettung, die sagen:
„Wer ist schon so bescheuert
und riskiert sein Leben auf dem Mittelmeer?“

Heute geht es um das Leben von
Yaya, Alagie, Nadia, Buam, Esala, Bridu, Giada und Majid.
Auf den Grabsteinen in Oksbøl  stehen diese Namen:
Emilie, Wilhelm, Marta, Erna, Kurt, Friedemann, Helmut.
Geflüchtete.
Geliebte.
Menschen.
Damals
wie
Heute.

"Wir sind es alle wert, gerettet zu werden,

einfach, weil wir Menschen sind!" 

(HBS heute in Palermo)

Kyrie eleison!





Samstag, 14. August 2021

Biblische Wetterberichte: Land unter! (Über-)Leben zwischen Katastrophe und Sicherheit

 


„Land unter! (Über-)Leben zwischen Katastrophe und Sicherheit"
Sommerpredigtreihe 2021 im Distrikt Unterer Neckar

1. Mose 6,5-8,22

I.                    Land unter

Waren Sie schon einmal auf einer Hallig?
Hallig Hooge.
Hallig Langeneß.
Oder Hallig Süderoog.
10 davon gibt es in der Nordsee.
Im Prinzip sind es Inseln.
Solche, die bei Hochwasser überschwemmt werden.
Im Frühjahr oder Herbst,
wenn die Stürme kommen,
Wind und Regen.
Dann steigt das Wasser.
Immer höher und höher.
Und irgendwann heißt es:
„Land unter!“
Dann sind die Wege abgeschnitten.
Die Weiden überflutet.
Die Spielplätze unbespielbar.
Der Schiffsverkehr wird eingestellt.
Und die Menschen bleiben auf den Warften.



II.                  Warften

Warften.
Häuser und Höfe sind das,
die höher gebaut sind als der Rest der Insel.
Häuser und Höfe, die der Flut Stand halten.
Sie trotzen Wind und Wetter und Wasser und Wellen.
Wenn die Flut schlimm ist, dann reicht das Wasser
bis knapp unter die Fenster.
 
Aber: Man ist in Sicherheit.
Und dann sitzt man da.
Und muss aushalten, dass das Leben stillsteht.  
Erträgt, dass die Flut alles überspült.
Aber man weiß: Irgendwann ist es vorbei.
Und das Wasser fließt ab.
Der Weg zum Halligkaufmann ist wieder frei. 
Die Schafe gehen zurück auf die Salzwiese.
Die Halligkinder schaukeln wieder auf dem Spielplatz.
Das Postschiff kann wieder anlegen.
Und die Menschen finden wieder zueinander
und wissen: wir haben es geschafft.
 
Das Leben geht weiter.
Seinen gewohnten Gang.

 

III.                Noah

Noah blieb übrig
und alle, die mit ihm in der Arche waren.
150 Tage stieg das Wasser auf der Erde.

Noah blieb übrig.
Ja, mit seiner Familie war er in der Arche.
Dort sind sie alle sicher. Und am Leben.
Wie die Menschen auf den Halligen.
Sie wissen: Nach der Flut geht es weiter.
Aber Noah?
Er weiß nicht, was ihn erwartet.
Und er hat keine Ahnung,
was auf ihn und seine Familie zu kommt.
Wie das Leben weitergeht.
Ja, in der Arche sind alle am Leben.
Aber in der Gewissheit:
Wir sind übrig
und alle anderen sind tot.
Was jetzt kommt, weiß niemand.
150 Tage steigt die Flut und kein Land ist in Sicht.
150 Tage leben mit der Katastrophe –
aber mit offenem Ende.
Einzig die Zusage Gottes war da:
ich will, dass du überlebst.  
Noah bleibt übrig.


Da dachte Gott an Noah -
und an alle Tiere und das Vieh;
die bei ihm in der Arche waren.

IV.                 Denkt Gott? Steffen.

„Land unter!“ seufzt Steffen.
Seine Frau Annika ist vor einigen Wochen
an Krebs erkrankt.
Die Prognose ist ungewiss.
Mit drei Kindern muss er zusehen,
dass der Alltag mit Schule,
Kindergarten und Job funktioniert.
Wie es weitergeht weiß er nicht.
Er hofft, dass die Ärzte Recht behalten
und die Chemotherapie anschlägt.
Zu seinen Freunden hat er wenig Kontakt.
Kämpfen und hoffen und aushalten ist angesagt.
Denkt Gott an mich? fragt sich Steffen.

 V.                 Denkt Gott? Nadia.

„Land unter!“
Nadias Tränen hören nicht auf zu laufen.
„Er hat mich einfach sitzen lassen!
Und das, obwohl er weiß,
dass ich im 3. Monat schwanger bin.“
Sie war sich sicher:
Nick bleibt bei ihr. Sie kann ihm vertrauen.
Und gemeinsam schaffen sie das mit einem Kind.
Mit Wohnungssuche und Ausbildung.
Und mit ihrer Familie,
für die eine schwangere 16jährige
ein echtes Problem ist.
Aber jetzt ist sie ganz alleine.
Woher sie Unterstützung bekommen soll,
weiß sie nicht.
Denkt Gott an mich? fragt sich Nadia.

VI.               Denkt Gott? Brigitte und Heinz.

„Land unter!“ seufzt Heinz,
als er mit Tränen in den Augen
vor den Trümmern des gemeinsamen Hauses steht.
Nichts ist ihnen geblieben.
Alles hat die Flut zerstört und mitgerissen.
Auch das neue Badezimmer,
dass erst vor wenigen Wochen saniert wurde.
„Eigentlich dachten wir,
dass wir jetzt mit dem Gröbsten durch sind
und zusammen noch ein paar schöne Jahre
erleben können, hier in unserem Haus!“
erzählt der 80Jährige.
„Nun haben wir gar nichts mehr, nicht einmal mehr ein Badezimmer!“, ergänzt Brigitte.
Denkt Gott an uns? Fragen sich Brigitte und Heinz.
 

VII.             Denkt Gott? Ich.

„Land unter!“
denke ich manchmal selbst.
Wenn alles zu viel wird.
Wenn keine Lösung in Sicht ist.
Der Druck zu groß.
Die Kraft am Ende.
Denkt Gott an mich?

Da dachte Gott an Noah -
und an alle Tiere und das Vieh;
die bei ihm in der Arche waren.

VIII.           Auf Grund

      Nach 150 Tagen war das Wasser so weit gesunken,
      dass die Arche auf dem Gebirge Ararat aufsetzte.

Es ruckelt und kracht.
Die Balken biegen sich.
Der der Kahn läuft auf Grund?
Tatsächlich?
Nach dem ersten Schrecken kommt die Hoffnung.
Die Hoffnung, dass sich jetzt etwas zum Guten wendet.
Aber es dauert, bis das Wasser abfließt.
Und ganz langsam zeigt sich: es ist eine Gebirgsregion, in der die Arche aufgelaufen ist.
Das Wasser geht zurück,
und es kommt zum Vorschein, was Halt gibt.
Aber es wird auch deutlich:
Eine schnelle Lösung wird das nicht.
Bis das Wasser von der Erde verschwunden ist,
wird es lange dauern und auch
bis das Leben wieder das Alte ist.

 

IX.                Raben und Tauben

Bis dahin braucht Noah Gewissheit,
dass das Leben weiter geht.
Dass das „Projekt Arche“ eben nicht hier zu Ende ist:
inmitten der Katastrophe -
sondern zurück führt ins Leben.
Vielleicht nicht ins Alte.
Aber ins Leben.
Zwei Vögel lässt er fliegen.
Rabe und Taube.
Sie kehren immer wieder zurück zur Arche.
Noch ist Leben außerhalb der Arche nicht möglich.
Noah harrt aus und übt sich in Geduld.
Bis die Taube zurückkehrt
mit einem Olivenzweig im Schnabel.
Mit ihr kommt das Leben zurück.
Und der Mut.
Und das Vertrauen.
Irgendwo wächst wieder etwas.
Ein Hoffnungszweig mitten in all dem Furchtbaren.

 

X.                  Gott denkt an Steffen.

Steffen kämpft sich durch Tag für Tag.
Annika geht es zwar besser,
aber bis der Alltag wieder normal läuft, wird es dauern.
Steffen ist erschöpft.
Die Urlaubstage sind aufgebraucht und
er weiß nicht, wie es jetzt weitergehen soll.
Einen Anruf später weiß er:
Die Kolleg*innen spenden einen Teil ihres Urlaubs,
damit er bei seiner Familie sein kann.
Ein Hoffnungszweig.

XI.                Gott denkt an Nadia.

Nadia spürt das Kind in ihrem Bauch.
Sie liebt es. Egal, was jetzt kommt.
Sie hat entschieden, für sich und ihr Kind zu kämpfen.
Der Schulsozialarbeiterin hat sie sich anvertraut.
Sie vermittelt ihr unterstützende Angebote
für junge Mütter.
Bei einem Beratungstermin erfährt sie:
sie bekommt Geld.
Und eine Hebamme wird sie begleiten.  
Und sogar eine kleine Wohnung bekommt sie,
in der sie mit ihrem Kind dann leben kann.
Ein Hoffnungszweig.

 

XII.             Gott denkt an Brigitte und Heinz. 

Brigitte und Heinz werden die Bilder
von der Flut nie vergessen.
Mit knapp 80 Jahren stehen sie vor dem Nichts.
Sie könnten verzweifeln.
Aber das Gegenteil ist der Fall.
Sie finden Lebensmut in ihren Erinnerungen:
Heinz erzählt, sein Motto sei jetzt:
„Mit 81 Jahren, da fängt das Leben an…“
und Brigitte erinnert sich:
„Wir haben den Krieg als Kinder erlebt.
Das hier ist auch schlimm,
aber Menschen sind keine Feinde
und niemand wurde erschossen.
Wir schaffen das.“
Ein Hoffnungszweig.

 

XIII.           Hoffnungszweige

Am Abend kam sie zu ihm zurück.
Diesmal hatte sie in ihrem Schnabel
ein frisches Blatt von einem Olivenbaum.
Da wusste Noah,
dass das Wasser auf der Erde weniger geworden war.

Ein Olivenzweig wird zum Hoffnungszweig.
Nicht immer ist das so deutlich, wie bei Noah.
Weil Hoffnungszweige
unterschiedlich sind.
Und nicht nur mit Tauben daherkommen.
Sie kommen per WhatsApp, im Kuchenpaket,
als Brief vom Arbeitsamt und
per Telefon vom Klassenlehrer.

Hoffnungszweige kommen von innen.
Aus dem eigenen Schatz.
Und Hoffnungszweige kommen von außen.
Manchmal vielleicht auch ganz unscheinbar.

Hoffnungszweige machen nichts ungeschehen.
Sie verhindern keine Katastrophen.
Keine großen und keine kleinen.

Aber sie geben Mut und Kraft,
auszuharren in all dem was ist.

Und so weiß ich,
dass zu schaffen ist,
was nicht zu schaffe scheint.
Dass ich hindurchgerettet werden kann.
Ich weiß, dass Gott mich nicht vergessen hat.

Ich weiß, dass die Flut vorübergeht und
dass die Menschen sich wieder begegnen.
Beim Halligkaufmann und auf dem Wochenmarkt.
Ich weiß, dass die Schafe wieder zurück kehren auf die Salzwiesen
und Steffen zu seinen Kolleg*innen.
Ich weiß, dass die Kinder wieder schaukeln.
Und Nadjas Kind schaukelt mit.
Ich weiß, dass die die Postschiffe den Hafen wiederfinden.
Und Brigitte und Heinz ein neues Zuhause. Mit Badezimmer.
 

Ich weiß, dass es diese eine,
große Flut
nur einmal gab.
Die alles Leben vernichtet hat.
Seither gibt es ein Danach.
Gibt es Hoffnungszweige.
Für Noah.
Für Steffen und Annika,
Nadia, Brigitte und Heinz.
Und für uns alle.
Amen.





Mittwoch, 11. August 2021

Biblische Wetterberichte: Sonnenstrahlen

Gottesdienste in den Pflegeheimen
im August 2021 im Rahmen der
Sommerpredigtreihe 
"Heiter bis wolkig, mitunter Segen"

Bestimmt erinnern Sie sich an ganz viele Kinderzeichnungen. 
Aus Ihrer eigenen Kindheit.
Oder Bilder, die Ihre Kinder, ihre Enkel oder gar Ihre Urenkel gemalt haben. Die vielleicht am Kühlschrank hingen oder an der Küchentür.

Oder zusammengerollt
und mit Schleife versehen
zum Geburtstag verschenkt wurden.
Wissen Sie noch?
Auf ganz vielen dieser Bilder ist eine Sonne zusehen –
und meistens mit einem lachenden Gesicht.

Mich fasziniert das.
Ich kann mich nicht erinnern, dass ich jemals zu meiner Tochter gesagt hab: Mal eine Sonne mit lachendem Gesicht.
Und trotzdem hat sie genau so gemalt.
Wie alle anderen Kinder auch.
Ich habe mich ehrlich gesagt nicht damit beschäftigt,
was da die Entwicklungspsychologie dazu sagt.
Und ich weiß auch nicht, seit wann man dieses Phänomen
bei Kinderzeichnungen beobachten kann.
Aber ich glaube, dass es etwas mit dem zu tun hat,
was tief in uns Menschen drin steckt.
Und mit einer Sehnsucht zu tun hat, die uns unser ganzes Leben begleitet:
Die Sehnsucht nach Wärme und Licht.
Nach Sonnenstrahlen.
Die ist im Menschen angelegt.
Und in einem Sommer, der so ein bisschen kein richtiger Sommer ist,
spüren wir das um so mehr:
die Sonne fehlt uns – und egal, wo man hinkommt:
alle reden darüber.
Warum das so ist?
Vielleicht finden wir es heraus.
Ich habe mich auf die Suche gemacht.
Nach Sonnenstrahlen in der Bibel.
Vielleicht helfen sie uns zu verstehen,
warum die Sonne für uns Menschen so wichtig ist.

Ein erster Sonnenstrahl
begegnet uns ganz am Anfang der Bibel.
Da, wo von der Schöpfung erzählt wird.
Gleich am ersten Schöpfungstag hat Gott das Licht erschaffen.
Aber das war zuerst einfach nur „Licht“ und „Finsternis“.
Erst am vierten Schöpfungstag kam Ordnung in die Sache und es heißt: „Lichter sollen am Himmelsdach entstehen,
um Tag und Nacht voneinander zu trennen.
Sie sollen als Zeichen dienen, um die Feste,
die Tage und Jahre zu bestimmen.“

Einen Tag zuvor hat Gott die Pflanzen erschaffen, die ganze Vegetation.
Wir alle wissen: Ohne Sonne wächst nichts.
Ohne Sonne produzieren Bäume keinen Sauerstoff.
Ohne Sonne wächst weder Getreide, noch Kartoffeln, noch Tomaten.
Die Sonne ist der Antrieb, der die die Welt am Leben erhält. 

Und: die Sonne ordnet die Zeit.
Sie gibt nicht nur den Rhythmus der Natur vor,
sondern auch den Rhythmus der Menschen.
Zu diesem Rhythmus gehören nicht nur Tage und Jahre,
sondern auch Feste – und Zeiten ohne Feste.
Nicht umsonst werden viele Feste von der Sonne abhängig gemacht:
Die Sommersonnwende ist vor allem im Norden
eines der größten Feste.
Unser Weihnachtsfest ist an der Wintersonnwende orientiert,
die die Menschen feierten, lange bevor es das Christentum gab.
Die Sonne macht also, dass unsere innere Uhr funktioniert.
Und deshalb brauchen wir sie.

Ein weiterer Sonnenstrahl:
Die Sonne der Gerechtigkeit.
Von ihr haben wir auch gerade gesungen.
Da wird die Sonne zum Gleichnis.
Es begegnet uns am Ende des Ersten Testaments
im Buch des Propheten Maleachi.
Dort wird unterschieden zwischen den Menschen,
die sich an Gott halten und den anderen.
Und dann heißt es da:
„Dann wird die Sonne der Gerechtigkeit aufgehen für euch,
die ihr meinen Namen fürchtet.
Unter ihren Flügeln gibt es Heilung.“

Wenn man weiß, dass im alten Orient
die Sonne als Scheibe mit zwei Flügeln dargestellt wird,
wird deutlicher, was gemeint ist:
Flügel beschützen und geben Halt und Sicherheit.
Sie halten die Sonne am Himmel. 
Die Sonne der Gerechtigkeit beschützt,
was zerbrochen ist und Zeit braucht, um Heil zu werden.
Gerade haben wir gesungen:
„Lass uns deine Herrlichkeit sehen auch in dieser Zeit
und mit unserer kleinen Kraft suchen, was den Frieden schafft.“
Die Sonne der Gerechtigkeit strahlt,
wenn Menschen sich ein Herz fassen und ihren Streit beseitigen –
obwohl sie ein halbes Leben lang nicht mehr miteinander geredet haben.
Die Sonne der Gerechtigkeit strahlt,
wenn jemand Kuchen vorbeibringt und damit zeigt:
„Opa, ich denk an dich,
auch wenn du jetzt nicht mehr bei uns wohnen kannst.“
Die Sonne der Gerechtigkeit scheint,
wenn eine jahrelang leerstehende Wohnung nun doch vermietet werden soll – an eine Familie, die in Not ist
und noch nicht einmal richtig deutsch kann.
Die Sonne der Gerechtigkeit scheint,
wenn Menschen von hier ins Ahrtal fahren
und den Menschen dort helfen,
die Flutschäden an den Häusern und in den Seelen zu bewältigen.
Und die Sonne der Gerechtigkeit scheint,
wenn Menschen laut ihre Stimme erheben
und auf Ungerechtigkeit und Verantwortungslosigkeit aufmerksam machen. 

Ein dritter Sonnenstrahl:
Ostern.
Die Sonnengeschichte in der Bibel überhaupt.
Und sie beginnt, ganz spektakulär, mit einer Sonnenfinsternis.
Sie alle haben es schon erlebt:
immer mal wieder kommt es vor, dass sich der Mond
zwischen Sonne und Erde schiebt.
Ich erinnere mich sehr gut an die totale Sonnenfinsternis am 11. August 1999.
Morgen sind es 22 Jahre. 
Da war ich in der Pampa im Norden Dänemarks unterwegs
und dort wurde es mitten am Tag tatsächlich richtig dunkel.
Das Licht hat sich verändert, und, was ganz komisch war:
Die Vögel waren in höchster Aufregung.
Sie haben zuerst ganz laut Alarm gezwitschert, weil sie merkten:
es ist was aus dem Takt.
Und dann sind sie plötzlich verstummt.
Und es war still wie mitten in der Nacht.
Vormittags um 11 Uhr.
Es war, als ob die Welt für ein paar Minuten still stand.
Und dann fingen die Vögel wieder an zu zwitschern – wie früh am Morgen – und sie kehrten ins Leben zurück.
Verrückt.
Ein bisschen wie Ostern.
„Es war die sechste Stunde,
da breitete sich die Finsternis über das ganze Land.
Sie dauerte bis zur neunten Stunde.
In der neunten Stunde schrie Jesus laut:
„Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Markus 15,33f)

Als Gott stirbt, ist die Sonne weg.
Das Licht, das die Welt am Leben erhält, ist verloschen.
Das war der absolute Stillstand.
Mehr Tod geht nicht.
Wäre die Geschichte an dieser Stelle zu Ende gewesen,
säßen wir heute nicht hier.
Aber sie ging weiter.
Die traurigen Menschen mit ihrer Dunkelheit in der Seele
gingen zum Grab, am Morgen,
als die Sonne aufging.
Und da sagt dann der Engel:
„Fürchtet euch nicht!
Jesus ist nicht hier, Gott hat ihn von den Toten auferweckt.
Jesus geht euch voraus nach Galiläa.
Ihr werdet ihn dort sehen.“

Und so ist diese Sonnengeschichte eine Mutmachgeschichte.
Die Ostersonne geht nämlich auf,
obwohl es in den Herzen und Seelen der Menschen noch dunkel ist.
Da leuchtet was aus der Ewigkeit in diese Zeit,
obwohl nicht alles gut ist.
Obwohl uns was weh tut, an Leib oder Seele.
Obwohl es Streit und Krach gibt.
Und Einsamkeit.
Und Menschen, die mir das Gefühl geben,
dass ich eine Last bin.
Manchmal braucht es eine Weile,
bis die Sonne durch dringt und klar wird:
die Finsternis ist vorbei.
Auch die Finsternis in der Seele.

Und so singen wir nochmal ein Lied von der Sonne.
Und wenn Sie jetzt die Sonnenstrahlen auf Ihrer Haut spüren,
dann fühlen Sie sie ganz bewusst als Sonnenstrahlen Gottes,
die Sie bescheinen.
Und die nicht nur Ihre Haut,
sondern auch Ihre Seele wärmen.
Amen.