Sonntag, 29. Mai 2022

Queer Eye, Paulus und das Selfie mit Jesus

Gottesdienst in  der Eusebiuskirche
Wendlingen am Neckar
Sonntag Exaudi, 29.05.2022

Predigt zu Römer 8, 28-28 


I.                   Selfie

Bestimmt haben alle schonmal mit dem Smartphone
ein Foto gemacht von sich.
Ein Selfie.
Und vermutlich kennen die meisten hier das auch:
Man macht mehrere Versuche,
bis man halbwegs zufrieden ist und man das Gefühl hat:
Das bin ich, so wie ich mich selbst sehen möchte.
Entweder man guckt schräg oder ein Auge ist halb zu.
Oder man sieht das Doppelkinn zu offensichtlich.
Oder eine Haarsträhne hängt, wo sie nicht sein soll.
Jedenfalls haben wir alle eine gewisse Idealvorstellung
von diesem Bild von uns selbst. 

Wenn die eigenen Versuche nicht ausreichen,
dann besteht die Möglichkeit,
über das Bild der Wahl einen sogenannten Filter zu legen.
Also ein technischer Kniff,
um ein Gesicht anders aussehen zu lassen –
ob es damit schöner wird, sei jetzt mal dahingestellt.
Mit diesen Filtern kann man spielen.
Man kann nicht nur ein Gesicht runder oder
schmaler machen und braune Augen blau.
Man kann aus einem Menschengesicht ein
Katzengesicht machen.
Also ein Mensch mit Schnurrharen, rosa Näschen und Katzenohren.
Oder Teufelshörnchen.
Die sind auch sehr in Mode gekommen.
Genauso wie Heiligenscheine,
überdimensionale Daisy-Schleifen und Sonnenbrillen.
Diese lustigen Accessoires legen sich
über das eigene Gesicht,
sodass man selbst noch deutlich erkennbar ist,
aber dennoch ein ganz anderes Bild,
eine ganz andere Figur entsteht.

 

II.                Eugen

Welches Bild haben Menschen von sich selbst?
Selfie-Spielereien sind zwar genau das: Spielereien,
aber sie deuten auf etwas hin,
was tief uns Menschen steckt:
Kein Mensch ist mit dem Bild von sich selbst zufrieden.
Es gibt immer Veränderungspotential.
Und es geht da längst nicht nur um Figur,
Frisur und Modegeschmack.
Offensichtlich tragen alle eine Sehnsucht in sich,
wie es sein könnte.
Und diese Sehnsucht ragt immer über die Realität hinaus.
Damit kann man unterschiedlich umgehen.
Für die einen ist es Ansporn und Entwicklungspotential.
Für andere Ursache dafür, sich selbst aufzugeben.
Zu resignieren, weil unerreichbar scheint,
wie man gern wäre.
Ob es das eine oder das andere ist,
hat vermutlich zu tun mit der biografischen Entwicklung
und dem sozialen Umfeld eines Menschen.
Und mit innerer Stärke -
oder auch dem Fachbegriff: Resilienz. 

Sehr beeindruckend dokumentiert das
die Netflix-Serie Queer Eye.
Die „Fab(ulous) Five“ (die fabelhaften Fünf)
sind unterwegs, um Menschen auf die Spur zu bringen,
die ein völlig falsches Bild von sich haben.
Und alle fünf sind Profis in Sachen Gesundheit,
Psychologie, Beauty, Mode und Lifestyle.
Sie kümmern sich um hoffnungslose Fälle.
Um Menschen, die sich aufgegeben haben.
Bei denen kein Filter mehr hilft.
Ihr Bild von sich hat nichts mehr mit der Realität zu tun.
Sie sehen nicht, welches Potential sie in sich tragen.
Fast immer sind es traurige Geschichten.
Aber: es gibt im Umfeld dieser Menschen Freunde oder Nachbarn,
die immer noch das Potential sehen -
und die Fab Five bestellen.  
Dann wird aus dem kleinen, dicken, ziemlich
verwahrlosten und ungepflegten Eugen
innerhalb von ein paar Tagen ein anderer Mensch.
Weil ihm gezeigt wird, was in ihm steckt.
Was er aus sich machen kann.
Welchen Unterschied es macht,
wenn man seine gesundheitlichen Baustellen ernst nimmt.
Und wie es sich anfühlt,
wenn man von Menschen anders wahrgenommen wird.
Nun ist eine Netflix-Serie mit ausgewählten Schicksalen
nicht das wirkliche Leben und man kann solche
Inszenierungen durchaus kritisch sehen.
Wahrscheinlich ist es auch angemessen,
die Dauerhaftigkeit einer solchen Veränderung
zu hinterfragen.
Aber mit dem inneren Traumbild zu arbeiten,
das Menschen von sich selbst haben,
es zu deuten und es zu entwickeln:
das finde ich großartig.

Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch:
Menschen sind gezeichnet vom Leben.
Im ganz buchstäblichen Sinne.
Sie geben oft ein jämmerliches Bild ab.
Und oft fühlen sie sich noch jämmerlicher,
als sie von anderen wahrgenommen werden.
Eugen ist nicht zufällig so verwahrlost und verlottert.
Eugen ist im Laufe seines Lebens zu dem geworden,
wie sein Leben ihn gezeichnet hat
und wie er dieses Bild von sich interpretiert hat.
Und dieses entstandene Bild macht ihm Mühe.   


III.             Paulus 

Ich lese einen Ausschnitt aus dem heutigen Predigttext.
Er steht im Brief von Paulus an die Gemeinde in Rom:

Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben,
alle Dinge zum Besten dienen,
denen, die nach seinem Ratschluss berufen sind. 
Denn die er ausersehen hat,
die hat er auch vorherbestimmt,
dass sie gleich sein sollten dem Bild seines Sohnes,
damit dieser der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern.
(Römer 8,28-29)

Auch Paulus hatte Mühe.
Mühe mit dem Bild, das er von sich hatte.
Ein korrekter Mensch war er.
Ein Hundertprozentiger.
Ein kluger Kopf, der einordnen konnte,
was um ihn herum und auch mit ihm passierte.
Und doch fiel ihm seine neue Rolle schwer,
die er innehatte, seit er damals in Damaskus
vom Pferd fiel.
Sein Bild von sich selbst änderte sich
innerhalb kürzester Zeit.
Nicht nur, weil der ehemalige Christenverfolger
jetzt selbst Christ war,
sondern weil er plötzlich blind war -
und gar kein Bild mehr sah.
Im Grunde kann man sagen:
Ein bisschen wie bei Eugen.
Paulus hat sein Potential zu diesem Zeitpunkt nicht erkannt,
als er in Damaskus saß
und vor Schreck drei Tage nichts aß und nichts trank.
Er hatte sich aufgegeben.
Nun war Queer Eye und die Fab Five
damals noch nicht erfunden, aber:
Da war Hananias, der von Jesus gesandte Fabulous One.
Er geht zu Paulus.
Zwar nicht ohne Sorge, aber er weiß, was zu tun ist.
Er legt die Hände auf ihn und richtet ihn auf.
Und Paulus sieht:  Ich bin ein anderer.
Jesus hat mich gezeichnet.  
An etlichen weiteren Stellen in seinen Briefen ist dokumentiert:
Es ist kein schönes Bild.
Er berichtet von Einschränkungen und körperlichen Gebrechen,
von chronischer Krankheit.
Und doch schreibt er: alles dient zum Guten.
Es ist, als ob er einen Filter über alles legt und etwas anderes sieht.
Nicht den gebrochenen, kranken Mann,
dessen Karriere von Jesus jäh durchkreuzt wurde.
Sondern sieht… ja wen denn?

IV.            Gekreuzigt

Es ist das Bild des Gekreuzigten,
das Paulus vor Augen hat.
Das meint Paulus, wenn er davon schreibt, dass
„sie gleich sein sollen dem Bild seines Sohnes“.
Ein paar Verse später erklärt er es:
„Der auch seinen eigenen Sohn nicht verschont hat,
sondern hat ihn für uns alle dahingegeben –
wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?“

Es sind nicht mehr seine eigenen Schwächen,
Einschränkungen und Unzulänglichkeiten,
die Paulus sieht.
Er sieht Jesus.
Er definiert sich selbst nicht mehr über den Schmerz,
der ihm vom Leben zugefügt wurde.
Es sind die Schmerzen die Jesus erlitten hat.
Diesem auferstandenen Jesus ist er begegnet.
Und deshalb hat er verstanden: 
Das eigene Bild ist nicht das Ende.
Das Kreuz ist nicht das Ende.

Paulus spricht von „Verherrlichung“.
Da wird etwas schön,
was beim ersten Hinsehen ganz schrecklich ist.
Und aus Saulus wurde Paulus.
Da wird einer ansehnlich, von dem man sich
im ersten Moment abwenden möchte.  
Wie ein Filter legt sich bei Paulus das Bild
des Gekreuzigten auf das unvorteilhafte und verzerrte
Bild, das er von sich selbst hat.
Mit Jesus kann auch Paulus auferstehen.
Und deshalb sich selbst und andere
mit neuen Augen sehen.

 

V.               Gezeichnet

Eugen ist vom Leben gezeichnet.
Paulus ist vom Leben gezeichnet.
Ich bin vom Leben gezeichnet.

Auch mein Bild von mir ist verzerrt
und ich wünsche mir, anders zu sein.
Viel zu oft sehe auf meine Fehler und meine Ungeduld.
Bin unzufrieden mit meinem Selbstmanagement und
ärgere mich über gesundheitliche Baustellen,
die mir einen Strich durch die Rechnung machen. 
Sehe all mein Scheitern und all die Probleme,
die das mit sich bringt.

Deshalb wünsche ich mir die Hoffnung von Paulus.
Hoffnung, dass mein Bild von mir
nicht die letzte Version ist.
Hoffnung, die auf den passenden Filter setzt.
Den Filter, der auch mein angekratztes Ich,
meine Narben und Verletzungen,
auch meine Wut
und meine Enttäuschung über mich selbst
durchbringt - bis zur Auferstehung.

Und deshalb wünschte ich mir, es gäbe Selfies mit Jesus.
Für mich, für die Eugens dieser Welt und uns alle.
Selfies mit Jesus als Erinnerung daran,
dass all das Unvollkommene und Schmerzhafte
schon längst durchlitten und auferstanden ist.
Selfies mit Jesus, um nicht zu vergessen, dass
mein Bild von mir nicht das Ende der Geschichte ist.
Selfies mit Jesus, damit er sich wie ein Filter
über all das legt, was Mühe macht
und mein Leben schmerzvoll zeichnet.
Und ich sehe dann: Es ist vollbracht.

Selfies mit Jesus? Sie bleiben ein Wunsch.
Kein Wunsch, sondern ein Versprechen
ist die Heilige Geisteskraft.
Gottes „Fab One“, die aufrichtet, stützt, ermutigt,
motiviert, und mich zum Strahlen bringt.
Damit ich mit Paulus sagen kann:
Ich bin gewiss,
dass kein noch so mühsames Bild von mir selbst
mich scheiden kann von der Liebe Gottes,
die in Christus Jesus ist,
meinem Herrn.

Amen.




Sonntag, 22. Mai 2022

Betet!

Gottesdienst im Grünen

bei der Jakobskirche Bodelshofen
Sonntag Rogate, 22. Mai 2022

Lukas 11, 5-13

Dann sagte Jesus zu seinen Jüngern:
»Stellt euch vor: Einer von euch hat einen Freund.
Mitten in der Nacht geht er zu ihm und sagt:
›Mein Freund, leih mir doch drei Brote!
Ein Freund hat auf seiner Reise bei mir haltgemacht.
Ich habe nichts im Haus, was ich ihm anbieten kann.‹
Aber von drinnen kommt die Antwort:
Lass mich in Ruhe!
Die Tür ist schon zugeschlossen,
und meine Kinder liegen bei mir im Bett.
Ich kann jetzt nicht aufstehen und dir etwas geben.‹
Das sage ich euch:
Schließlich wird er doch aufstehen und ihm geben,
was er braucht –

wenn schon nicht aus Freundschaft,
dann doch wegen seiner Unverschämtheit.
Ich sage euch:
Bittet und es wird euch gegeben!
Sucht und ihr werdet finden!
Klopft an und es wird euch aufgemacht!
Denn wer bittet, der bekommt.
Und wer sucht, der findet.
Und wer anklopft, dem wird aufgemacht.
Welcher Vater unter euch
gibt seinem Kind eine Schlange,
wenn es um einen Fisch bittet?
Oder einen Skorpion, wenn es um ein Ei bittet?
Ihr Menschen seid böse.
Trotzdem wisst ihr, was euren Kindern guttut,
und gebt es ihnen.
Wie viel mehr wird der Vater im Himmel
den Heiligen Geist denen geben, die ihn darum bitten.«



I.                   Hilfe!

Der Junge, der Maulwurf, der Fuchs und das Pferd
sind zusammen unterwegs.
Unterwegs durch das Leben.
Sie bewältigen etliche Abenteuer zusammen,
aber sie stellen sich auch Fragen.
Wichtige Fragen.
„Was ist das Tapferste, das du je gesagt hast?“
fragte der Junge.
„Hilfe“, sagte das Pferd.

Das Pferd ist mir sympathisch.
Denn ganz ehrlich:
ICH finde es viel einfacher, Dinge selbst zu tun.
Andere um Hilfe zu bitten: das fällt mir schwer.
Und manchmal starte ich viele Versuche,
ehe ich akzeptiere: Ich schaffe das nicht alleine.

Um Hilfe zu bitten, das heißt:
ich bin mit meiner Kraft am Ende.
Ich bin mit meinem Wissen und Können am Ende.
Ich bin begrenzt in dem, was ich selbst steuern kann.
Und ich bin angewiesen auf einen Menschen,
der in der Lage ist, etwas zu verändern.

Die Nachbarin, die mir Sonntag nachmittags mit Trockenhefe aushilft.
Der Kollege, der eine Bohrmaschine hat und weiß, wie man Lampen montiert.
Die Schwester, die einkauft und auch einen Korb schmutzige Wäsche versorgt, während man im Bett liegt und sich auskuriert.
Der Freund, bei dem man mitten in der Nacht an die Tür klopft und um Brote bittet.

II.                Bete!

Wie sollen wir beten?
So fragten die Jünger.
Es ist ein simpler Vergleich, den Jesus bemüht,
um das mit dem Beten seinen Jüngern zu erklären.
Eine Situation, die jede*r kennt: Man braucht Hilfe,
wendet sich in der Not an einen Menschen,
von dem man Hilfe zu bekommen glaubt.
Und auch wenn es diesem Menschen
nicht in den Kram passt: er hilft.
Und wenn es nur deshalb ist,
weil man lange genug nervt.

Es ist aber nicht nur ein simpler,
sondern ein alltäglicher Vergleich.
Es geht bei Jesus nicht um komplexe Sachverhalte
und schwierige Lebenskrisen, die zu bewältigen sind.
Es geht um ein ganz grundlegendes Bedürfnis: Brot.
Nichts ist zu klein, zu unscheinbar, zu wenig wichtig.
Das Alltägliche darf erbeten sein.
Und das auch noch zu den unmöglichsten Zeiten, nämlich mitten in der Nacht.

Beten, so verstehe ich Jesus,
ist etwas ganz Alltägliches und Einfaches.
Keine Situation ist zu banal.
Kein Anliegen zu klein.
Kein Zeitpunk falsch.  

Und genau da ist mein Problem.

III.             Sorry – keine Zeit!

Vieles in meinem Leben ist einfach zu selbstverständlich und ich muss erst gar nicht darum bitten!
Es ist einfach da. Ungefragt.
Ja, oft auch verdient.
Manchmal unverdient und geschenkt.
Inzwischen bekommen wir langsam eine Vorstellung davon, dass Lebensmittelvorräte knapp werden könnten, auch wenn fehlendes Salatöl ganz sicher noch keine existentielle Not ist:
„Unser tägliches Brot gib uns heute“ – möglicherweise kommen wir ja auch wir wieder an den Punkt, darum bitten zu müssen – für andere ist das aber längst Alltag!
Und so wird das Gebet schnell zum zusätzlichen Termin.
Weil meine kleinen Nöte des Alltags gar keine wirklichen Anlässe zum Gebet sind - und ich deshalb gar nicht dran denke, bei Gott anzuklopfen.  

Aber warum erzählt Jesus dann ausgerechnet von einer Situation voller Alltäglichkeiten, wenn wir uns darin so schnell verlieren?

IV.            Den Draht nicht verlieren

Ich unterstelle Jesus eine gewisse pädagogische Absicht,
wenn er Geschichten erzählt.
Eine Art Dramaturgie.
Das Wichtigste kommt nämlich zum Schluss.
Nach der Bitte um die Alltäglichkeiten pointiert er gekonnt:
Wie viel mehr wird der Vater im Himmel
den Heiligen Geist denen geben, die ihn darum bitten
.
Darum geht’s also. Um den Heiligen Geist.
Die Kraft, die Verbindung herstellt.
Verbindung zu Gott und zu Menschen.
Darauf kommts an.
Denn Jesus wird nicht immer da sein –
und langfristig muss es auch ohne ihn funktionieren.  
Deshalb will Jesus, dass das mit dem Beten funktioniert
und erklärt es seinen Jüngern so bildhaft und pragmatisch.
Ich glaube, es geht Jesus gar nicht in erster Linie
um materielle Grundbedürfnisse.
Es geht Jesus darum, dass Menschen in Kontakt sind,
in Kontakt bleiben.
In Beziehung. Miteinander und mit Gott.
Und am ehesten sucht der autonome und unabhängige Mensch
den Kontakt zu anderen, wenn Hilfe benötigt wird.
Dann sieht man sich quasi gezwungen zur Kontaktaufnahme.
Anzuklopfen. Vor der Tür zu stehen.
Vielleicht kommt daher das alte Sprichwort: Not lehrt beten.

 

V.               Den Draht nicht verlieren  

Die Herausforderung ist also,
in meinen Alltäglichkeiten den Draht nach oben nicht zu verlieren.
Aber wie ist das zu schaffen?
Vielleicht, in dem man sich bei denen etwas abschaut, die es können. 
Lernen möchte ich von denen,
die sich den Rhythmus des Alltäglichen zu Nutze gemacht haben um zu Beten.
Menschen in Kommunitäten und Klöstern zum Beispiel.
Sie kennen einen großen Schatz an Erfahrungen und Ritualen,
um im Alltag immer wieder zur Ruhe zu kommen.
Bei Gott anzuklopfen.
Sogar ganz strukturiert, und wenn man so sagen will: nach Stundenplan.
Nun krieg ich das in meinem Alltag auch nicht hin.
Aber wenn es 12 Uhr läutet und ich sitze am Schreibtisch, dann nehme ich mir diesen einen Moment Zeit, um bei Gott anzuklopfen.
Ich mit meinen wenigen Worten,
die mir grade da durch den Kopf gehen.
Und manchmal beten wir sogar ein Vater Unser gemeinsam im Chat.
Online verbunden durch ganz Deutschland.
In guter Erinnerung ist mir auch die Erzählung der Mutter eines Feuerwehrmannes. Sie sagte:
„Seit mein Markus bei der Feuerwehr ist,
bete ich jedes Mal, wenn ich ein Martinshorn höre.
Dass nicht noch mehr passiert und
dass denen geholfen werden kann, die Hilfe brauchen.“

Der große Theologe Karl Barth hat einmal gesagt:
„Wie man beten soll, das steht in der Bibel;
und was man beten soll, das steht in der Zeitung.“
Das Wort Zeitung braucht ein Upgrade:
Twitter, Tagesschau und der familiäre und nachbarschaftliche Buschfunk
erfüllen denselben Zweck.
Anlässe zum Beten gibt es genug.
Die Frage ist: Was bringt MICH dazu, bei Gott anzuklopfen?
Ich glaube, da gibt es kein Patentrezept dafür.
Jede*r braucht hier einen eigenen, sprichwörtlichen Knoten im Taschentuch.
Aber es lohnt sich, diesen zu finden.

Ein Weiteres:
Ist Ihnen schon aufgefallen, dass ganz viele unserer Lieder,
die wir im Gottesdienst singen, Gebete sind?
Singen verbindet.
Verbindet Menschen untereinander –
völlig egal, wie der Text geht.
Aber wenn der Text ein Gebet ist,
dann verbindet Singen auch mit Gott.
In der Kirche,
im Auto (wo es niemand hört, wenn es schräg ist),
beim Staubsaugen und Bügeln.
Beim Rasen mähen und Fliesen legen.
Beim Milchreis umrühren.
Im Stuhlkreis im Kindergarten und im Reli-Unterricht.
Lieder, die wir einmal gelernt haben,
vergessen wir nicht mehr und tragen sie im Herzen.

Wenn Worte nicht oder nicht mehr da sind,
bleibt oftmals ein Lied.
Und wer einmal am Sterbebett gesungen hat weiß,
wie sich die Grenzen zwischen Himmel und Erde plötzlich verschieben.

Und warum nicht ein Lied in die Spotify-Playlist schmuggeln,
das mich daran erinnert:
Du wolltest doch…

 

VI.            Wer anklopft, dem wird aufgetan

Letztendlich sind es Anker im Alltag,
die wir damit bewusst setzen.
Mir hilft das sehr, um bei Gott anzuklopfen.
Und tatsächlich zu beten.
Auch wenn es nur ein Satz ist. Ein Gedanke.
Manchmal nur ein Wort oder ein Namen.
Oder ein Ort.
Es hilft mir in Verbindung zu sein mit Menschen,
mit der Welt, mit Gott.
Und so letztlich auch mit mir selber –
denn ich darf ja Gott um etwas bitten –
und dazu brauche ich auch den Draht
zu meinem eigenen, Inneren.

Zurück zur Geschichte vom Jungen und seinem Pferd.
„Du gibst nicht auf, wenn du um Hilfe bittest“.
Sagte das Pferd. „Du weigerst dich, aufzugeben.“  
Wer betet, wer Gott um Hilfe bittet für die kleinen und großen Nöte unserer Zeit,
weigert sich, aufzugeben.
Weigert sich, Not, Angst und Ungerechtigkeit hinzunehmen
und als Normalzustand zu akzeptieren.
Weigert sich, Liebeskummer, schlechte Noten, traurige Diagnosen,
schlechte Nachrichten und sorgenvolle Fernsehbilder
als das Ende der Geschichte zu hinzunehmen.
Wer betet ist in Verbindung mit der Hoffnung
und kann vertrauen:
Gott tut was.

Amen.