Sonntag, 26. Mai 2019

Liebes Sachsen!



Liebes Sachsen!
30 Jahre ist es her, dass du es geschafft hast!
Du warst stolz darauf,
mit einem eisernen Willen 
die Mauer zu überwinden.
Sie einzureißen, obwohl sie unkaputtbar sein sollte.
Es wurde von "Wunder" gesprochen. Und von "Freiheit".
Wir haben dir deine Freiheit von Herzen gegönnt.
Und sie mit dir gefeiert.
Damals, als ich 11 war.
Ich weiß noch genau, wie es war,
als ich am Morgen danach auf der Terrasse stand
und ein komisches Geräusch hörte:
der erste Trabbi bog in unsere Straße ein.
Die Verwandschaft unserer Nachbarn.
Seither weiß ich,
wie ein Trabbi klingt.
Und seither weiß ich, wie sächsisch klingt.
Schon damals wusste ich:
Deutschland ist jetzt größer
und vor allem vielfältiger als vorher -
und das ist das Beste,
was Deutschland passieren konnte.
Davon bin ich auch heute noch überzeugt.
Es war auch immer irgendwie klar,
dass wir das mit der Wiedervereinigung zusammen hinkriegen.
Auch wenn Baden-Württemberg und Sachsen,
- gemeinsam betrachtet -,
ziemlich multi-kulti sind.

Inzwischen ist viel passiert.
Deutschland hat sich verändert.
Europa hat sich verändert.
Die Welt hat sich verändert.
Wir haben nicht nur Schwaben-Sachsen-Multikulti,
sondern Allerweltsmultikulti.
Menschen, die sich vor 50 Jahren nie begegnet wären,
leben heute friedlich
und in einem bunten und toleranten Deutschland
zusammen.
Unterschiedliche Lebensmodelle
stehen gleichwertig nebeneinander.
Keiner muss sich heute mehr Gedanken machen,
ob es okay ist,
als Single, Homosexueller,
Alleinerziehende oder Mutter-Vater-Kind-Familie
zu leben.
Meine Tochter
(sie ist heute so alt, wie ich damals)
zählt ihre türkischstämmige Freundin
in einer Reihe mit den Schwäbischen auf
und wundert sich darüber,
dass Enzo italienische Eltern hat: "Woher soll man das denn wissen?"

Liebes Sachsen,
wovor hast du eigentlich Angst,
wenn ein Drittel von dir AfD wählt?
Hast du vergessen, für welche Werte du gekämpft hast?
Wofür bist du auf die Straßen gegangen,
hast du im Stillen gebetet,
sogar im Knast gesessen?
Es erschüttert mich.
Ich verstehe es nicht.

Liebes Sachsen, du verrätst dich selber.
Deine eigene Geschichte.
Denk mal drüber nach,
wenn du nach der Party
und den ganzen Parolen
wieder einen klaren Gedanken fassen kannst.
Der Rest der Republik wird es dir danken.
Mit schmerzlichen Grüßen,
Eine,
die die Hoffnung nicht aufgibt.