Montag, 6. April 2020

Brief an eine Randfigur




Lieber Josef von Arimathäa!  

Man sagt, Du warst auch ein Freund von Jesus, wenn auch einer,
der sich in der Öffentlichkeit lieber zurückgehalten hat.
Deshalb wirst Du nur an zwei Stellen in der Bibel erwähnt. Böse Zungen sagen, Du wärst eine Art „Randfigur“. Einer, der keine große Rolle gespielt hat. Man weiß über Dich, dass Du reich warst. Und dass Du ein
„angesehener Ratsherr" warst. Aber sonst wissen wir nur eines: Dass es
Dir wichtig war, dass Jesus nicht als Verbrecher am Kreuz bleibt.
Wenigstens ein würdevolles Begräbnis sollte er bekommen.
Du bist zu Pilatus gegangen und hast darum gebeten, den toten
Jesus in ein Grab legen zu dürfen.
In Dein Grab.
Nein, eine Randfigur bist Du für mich nicht, lieber Josef.
Du konntest zwar nicht ahnen,
was da ein paar Stunden später passieren würde –
aber aus Deinem Grab ist Jesus auferstanden.
Dein Grab ist der HotSpot der Geschichte Gottes!
Vielleicht erinnere ich mich beim nächsten Mal an Dich,
wenn ich mir mein eigenes Grab schaufle.
Ein Sorgen-Grab,
ein Angst-Grab,
ein Egoismus-Grab
oder ein
Mir-ist-alles-egal-Grab.
Vielleicht wird mein Grab auch
ein HotSpot für Auferstehung!?

Hoffnungsgrüße,
Deine

Bärbel Greiler-Unrath


(Anker des Tages für den 7. April 2020  www.evkwn.de)

Sonntag, 5. April 2020

Hätte, sollte, könnte, müsste...



Es ist Unsinn,
sagt die Vernunft.
Es ist, was es ist,
sagt die Liebe.
Es ist Unglück,
sagt die Berechnung.
Es ist nichts als Schmerz,
sagt die Angst.
Es ist aussichtslos,
sagt die Einsicht.
Es ist, was es ist,
sagt die Liebe.
Es ist lächerlich,
sagt der Stolz.
Es ist leichtsinnig, 
sagt die Vorsicht.
Es ist unmöglich,
sagt die Erfahrung.
Es ist, was es ist –
sagt die Liebe.
(Erich Fried)




Es ist, was es ist. Gedankenverloren sitzt sie am Küchentisch.
Draußen zwitschert eine Amsel ihr Abendlied.
Die Sonne steht tief.
Nebenan klappert jemand mit Tellern
und es riecht nach Feuer und frisch gebackenem Brot.
Die Blume auf dem Tisch lässt vorwurfsvoll den Kopf hängen,
als wäre sie müde vom anstrengenden Blühen.
Entschlossen, fast krampfhaft hält sie die kleine Schmuckflasche in der Hand.
Und ihre Gedanken fahren Karussell.
Vom Kopf ins Herz und wieder zurück.
Sollte sie wirklich?
Wenn sie so könnte, wie sie wollte, wäre alles nicht so kompliziert.
Aber die Leute… Sie wissen schon…
Und eigentlich müsste sie auch ihren Vater vorher fragen.
Sein ganzes Vermögen hält sie in ihren Händen.


Großzügig war er damals. Bei ihrer Verlobung.
Sie sollte etwas haben für den Notfall. Und fürs Alter.
Hätte sie ihn vorher fragen sollen?
Nein. Die Antwort wäre sowieso klar.
Wenn, dann muss sie das auf ihre eigene Kappe nehmen.
Es ist Unsinn, das weiß sie.
Fest umschließt sie die Flasche.
Weich schmiegt sie sich an ihre raue Haut ihrer Hände.
So wertvoll ist dieses kleine Fläschchen.
Und so gut riecht der Inhalt.
Nardenöl. Wertvolles, duftendes Nardenöl.
Sogar durch den sorgfältig verschlossenen Korkdeckel
kann sie den süßherben Duft riechen.
Wenn irgendjemand erfährt, was sie vorhat,
erklärt man sie für verrückt. Da ist sie sich sicher.
‚Die Welt ist gerade verrückt genug. Alles ist unruhig.
Und sie will auch nichts riskieren. Will Jesus nicht unnötig in Gefahr bringen.
Und doch… Man müsste nur mutig sein.
Hätte sie nur einmal genug Mumm in den Knochen,
um sich nicht den Kopf zu zerbrechen.
Was würden die Leute dann denken? Und sagen?
Aber spielt das eine Rolle?
Viel Zeit hat sie sowieso nicht mehr.
Heute Abend ist Jesus bei Simon. Den kennt sie.
Das ist der Kranke vorne an der Ecke. Jesus traut sich zu ihm.
Obwohl niemand so recht weiß,
ob er nun wieder gesund ist oder nicht.
Aber Jesus wird schon wissen, was er tut.

Aus dem Markusevangelium, Kapitel 14:

Es waren noch zwei Tage bis zum Passafest und den Tagen der Ungesäuerten Brote. Und die Hohenpriester und Schriftgelehrten suchten, wie sie ihn mit List ergreifen und töten könnten. Denn sie sprachen: Ja nicht bei dem Fest, damit es nicht einen Aufruhr im Volk gebe.

Viel zu viel Wirbel ist da grade um Jesus.
Sie hat ein ganz ungutes Gefühl.
Nein, sie hat Angst um ihn.
Um ihren Jesus. Ihren Freund.
Seine Worte trägt sie tief im Herzen.
Ob er wohl weiß, wieviel er ihr bedeutet?
Ob sie ihm das schon mal gesagt hat, wie wichtig er für sie ist?
Hätte sie es öfter sagen sollen?
Müsste sie nicht viel öfter bei ihm sein?
Ihm mitteilen, was ihr die Freundschaft bedeutet.
Seinen Geschichten lauschen. Ihn umarmen.
Und ihm selbst gebackene Kekse vorbeibringen.
Aber vielleicht ist es ja auch besser nur Briefe zu schreiben.
Man will ja niemanden in Gefahr bringen.
Telefonieren, Mail oder WhatsApp geht vielleicht auch.
Unruhige Zeiten erfordern eben andere Maßnahmen.
Was wäre die Alternative?
Ein Blick auf die Flasche. Es ist unvernünftig, diese Sache durchzuziehen.
Und auf der anderen Seite: Wozu braucht sie dieses Öl?
Es ist nur wertvoll. Und es riecht gut. Für sie selbst völlig unnütz.
Aber Jesus… Jesus hätte es verdient. Schließlich ist er IHR König.
Sollte sie wirklich tun, was ihr seit Tagen nicht mehr aus dem Kopf geht?
Es ist so riskant!
Falls es wirklich zum Äußersten kommt:
Könnte sie damit leben, Jesus nie gesagt zu haben wie sehr sie ihn liebt?
Könnte sie damit Leben, sich nie zu ihm bekannt zu haben?
Es ist verrückt. Sie zweifelt. An sich selbst.
Und dann gibt sie sich einen Ruck. Und geht hin.
Es ist, was es ist.

Und als er in Betanien war im Hause Simons des Aussätzigen und saß zu Tisch, da kam eine Frau, die hatte ein Alabastergefäß mit unverfälschtem, kostbarem Nardenöl, und sie zerbrach das Gefäß und goss das Öl auf sein Haupt.


Sie hat es getan.
Es ist lächerlich, sagt der Stolz.
Sie ging einfach hinein in das Haus.
Es ist leichtsinnig, sagt die Vorsicht.
Sie gießt ihm ohne Vorwarnung teuerstes Öl über den Kopf.
Es ist unmöglich, sagt die Erfahrung.
Es ist, was es ist – sagt die Liebe.

Sie hat es getan, weil sie ihn liebt.
Weil sie ihrem Herzen gefolgt ist.
Weil ihr bester und wertvollster Besitz für Jesus grade gut genug ist.
Für ihn gibt sie ihre Sicherheit auf.
Für ihn riskiert sie ihren Notgroschen.
Wenn es jetzt hart auf hart kommt ist sie pleite.
Es ist Unsinn, sagt die Vernunft.
Es ist, was es ist, sagt die Liebe.
Und es fühlt sich richtig an, was die Liebe sagt.
Sie kann jetzt nicht mehr sagen:
Hätte ich ihm nur gesagt, wie sehr ich ihn ihn liebe.
Wäre ich nur hingegangen.
Sie hat es nicht aufgeschoben auf eine Zeit nach der Krise,
in der Hoffnung, dass dann alles wieder gut ist.
Sie hat getan, was sie konnte, um zu lieben. Jetzt.


Da wurden einige unwillig und sprachen untereinander: Was soll diese Vergeudung des Salböls? Man hätte dieses Öl für mehr als dreihundert Silbergroschen verkaufen können und das Geld den Armen geben. Und sie fuhren sie an. Jesus aber sprach: Lasst sie! Was bekümmert ihr sie? Sie hat ein gutes Werk an mir getan.  Denn ihr habt allezeit Arme bei euch, und wenn ihr wollt, könnt ihr ihnen Gutes tun; mich aber habt ihr nicht allezeit.  Sie hat getan, was sie konnte; sie hat meinen Leib im Voraus gesalbt zu meinem Begräbnis.  Wahrlich, ich sage euch: Wo das Evangelium gepredigt wird in der ganzen Welt, da wird man auch das sagen zu ihrem Gedächtnis, was sie getan hat.



Jeder hat andere Worte, um von der Liebe zu reden.
Jede tut andere Dinge um Liebe zu zeigen.
Und jede Zeit hat auch ihre ganz eigenen Herausforderungen.
Die Zeit der römischen Besatzung genauso
wie die Zeit von Kontaktsperren und Besuchsverboten.
Jesus war in Lebensgefahr, das wusste sie.
Deshalb wählte sie nicht die Öffentlichkeit,
sondern das vertraute Zusammensein im Freundeskreis.
Niemand in Gefahr zu bringen, das ist wichtig,
wenn man verrückte Dinge tut, um denen nahe zu sein, die man liebt.
Die Herausforderung ist heute nicht kleiner als damals.
Aber DASS man es tut: das ist das Evangelium.
Die gute Nachricht. Damals wie heute.
Hätte man nicht? Sollte sie nicht lieber?
Könnte man nicht besser? Müsste man nicht viel eher?
Ein Patentrezept für Liebe gibt es keines.
Vielleicht hätte sie heutzutage für Jesus einen Mundschutz genäht.
Vor seinem Fenster ein Ständchen gesungen
oder ein Paket zur Post gebracht.
Vielleicht hätte sie Medikamente aus der Apotheke geholt
oder die Geschäfte nach Klopapier abgegrast.
Vielleicht hätte sie ihm täglich eine Postkarte geschrieben oder
Blumen und selbstgebackenen Kuchen vor die Tür gestellt.
Vielleicht wäre sie heutzutage
aus Liebe gerade NICHT hingegangen zu Jesus.
Wer weiß das schon?
Es ist Unsinn, sagt die Vernunft.
Es ist, was es ist, sagt die Liebe.

Ins Wasser fällt ein Stein, ganz heimlich, still und leise;
und ist er noch so klein, er zieht doch weite Kreise.
Wo Gottes große Liebe in einen Menschen fällt,
da wirkt sie fort in Tat und Wort hinaus in uns're Welt.

Amen.

GuteGeisterGottesdienst an Palmsonntag, 05. April 2020
aufgenommen in der Eusebiuskirche Wendlingen am Neckar