Gottesdienst zum
Kino in der Kircheam 17. März 2024
im Johannesforum
„Treffen sich zwei
Männer in der Wüste…“
Der eine
ist Ben. Orthodoxer Jude aus New York. Eigentlich auf dem Weg ins Heilige Land,
um dort sein Studium abzuschließen und endlich standesgemäß verheiratet zu
werden, denn seine große Liebe hält er geheim. Er kommt an bei seinem Onkel in
Jerusalem – und wird sofort weitergeschickt. Er muss nach Alexandria, um die
dortige jüdische Gemeinde zu retten und mit ihr Pessach zu feiern. Die Gemeinde
ist kurz vor ihrem Ende – ihr fehlt der 10. Mann. Bis Pessach muss er dort
sein, egal wie. Sonst wird sie aufgelöst und ihr komplettes Vermögen fällt an
den Staat.
Die Reise erweist sich als Abenteuer und nach einer dubiosen Fahrt mit
dem Bus muss er schließlich den Weg zu Fuß fortsetzen – mitten durch die Wüste.
„Treffen sich zwei
Männer in der Wüste…“
Der andere ist Adel. Sein Großvater war Beduine. Er ist einer, der seine
Familientradition zu einem Geschäftsmodell gemacht hat. Mit Palästinensertuch,
verratzter Jeans und weißem Nomadengewand schlägt er sich als Touristen-Guide
durch. Motorisiert mit einem klapprigen Toyota-Geländewagen trotzt er der Wüste
Kilometer um Kilometer ab. Er ist hier groß geworden. Er kennt sich aus. Er ist
auf der Suche nach seinem Kamel. Und er hält an, als Ben ziemlich verloren dabei
war, aus dieser Wüste hinauszufinden.
Adel lässt Ben einsteigen in seinen klapprigen Toyota. Die Unterschiede
zwischen den Beiden sind schnell deutlich. Sprache, Herkunft, Kultur – und vor
allem Religion. Vieles scheint sie zu trennen.
Ob das gut geht? Findet der Eine sein Kamel und kommt der Andere in
„Alex“ an?
Auf dem gemeinsamen Weg vor einem – zugegebenermaßen überraschenden –
Ende passiert etwas zwischen den beiden Männern. Und wir springen jetzt direkt
hinein in den Film. Wir sehen einen Ausschnitt von etwa 20 Minuten. Ich lade
Sie ein, vor allem hinzuschauen und zu hören unter einer bestimmten
Fragestellung: „Was passiert zwischen diesen beiden Männern?“
Filmausschnitt 37:00 bis 58:18
„Treffen sich zwei Männer in der Wüste…“
Es ist eine unmögliche Situation. Ehrlich gesagt geht es einfach nur ums
Überleben. Für beide. Eigentlich hat keiner Interesse am anderen. Sie stammen
aus völlig unterschiedlichen Welten. Er, der orthodoxe Jude. Fest verankert im
jüdischen Glauben und in der jüdischen Tradition. Was in der Thora steht, wird
wörtlich genommen. Die 613 Mizwe neben den 10 Geboten hat er drauf. Nicht nur
auswendig im Kopf. Er lebt sie auch. Nicht nur indem er an Sabbat sein Geld
abgibt und seine Tasche tragen lässt. Die rituellen Waschungen zieht er durch.
Bis sein Weggefährte ausflippt. „Die Lebensgefahr bist du!“
Und dann er,
der Wüstenbewohner und Überlebenskünstler, auf der Suche nach seinem Kamel. Er
weiß, was sein Überleben sicherstellt. Kennt die Wege in der Wüste, die
Verstecke der Vogeleier und vor allem: die Wasserlöcher. Deshalb weiß er auch,
dass der andere ohne ihn nicht überlebt. Und er beschützt ihn. Beduinengesetz. Und
er versteht deshalb nachvollziehbarerweise nicht, weshalb man so dumm sein
kann, und sich selbst in Lebensgefahr bringt – aus religiösen Gründen.
Sie sind
aufeinander angewiesen. Adel ist sich dessen bewusst. Ben vielleicht auch –
aber seine Religion lässt ihn nicht über den Schatten springen.
Adel findet Worte. „Dein
Gott mag mein Brot nicht.“
Für mich ist es,
als ob Adel diesen Vorschriften-Gott von Ben plötzlich dazuholt. Zum
Lagerfeuer. Ein Gott, der Brot nicht mag – das ist ein sehr präsenter Gott. Ein
Gott der da ist, an diesem gottverlassenen Ort in der Wüste, dort am Feuer, wo
es duftet nach Kohle und Rauch – Bifi aus der Dose und frischem Brot. Ich denke
da sofort an den brennenden Busch in der Wüste. In dem Gott ist. Und an Mose,
der vor diesem Busch steht und hört: Ich bin der Gott deiner Vorfahren. Ich
habe eine Aufgabe für dich. Gehe nach Ägypten und befreie dein Volk. Sieh zu,
dass sie wieder Pessach feiern können. Aber Ben hängt fest in der Wüste, in
seinen Mizwe, in seinen Ritualen. Und der Ich- bin- da-Gott mag Adels Brot
nicht.
„Treffen sich 2 Menschen in der
Wüste“
Wüsten gibt
es viele. Lebensfeindliche Zonen, in denen man gut überlegen muss, wie man
hindurch kommt. Nicht nur solche mit
Hitze und Sand – und ohne Wasser. Ich meine damit lebensfeindliche Zonen, in
denen das Alltags-Überleben irgendwie sichergestellt werden muss. Denn oft ist
es gar nicht das physische Überleben. Seelenwüsten sind nicht weniger
gefährlich. Und sie gibt es zu allen Zeiten und an allen Orten. Es gibt Wüsten am
Arbeitsplatz, wo man nur noch hingeht, weil das Pflichtbewusstsein und
wirtschaftliche Zwänge keine andere Wahl lassen. Es gibt Wüsten in
Partnerschaften, in denen keine Wertschätzung geteilt wird und man nur noch
zusammenlebt, weil es die günstigste Lösung ist. Und auch in unserer Kirche
gibt es Wüsten. Diese Woche habe ich mit Menschen gesprochen – und jetzt muss
ich leider eine Triggerwarnung aussprechen - die in unserer Kirche um das Überleben
ihrer Seele kämpfen mussten. Menschen, die unsere Kirche als lebensfeindliche Zone
wahrnehmen. Weil niemand sie hören wollte. Und ihnen lange Zeit niemand ihre
Geschichte geglaubt hat. Die Geschichte vom sexuellen Übergriff durch den
Pfarrer – und im anderen Fall durch den Posaunenchorleiter. Die beiden, mit
denen ich gesprochen habe, haben den Weg aus dieser Wüste herausgefunden.
Wieviele dort noch unterwegs sind, wissen wir nicht.
Wenn man einer Wüste einem
Menschen begegnet, der die Gefahr kennt und um einen Weg weiß, ist das ein
Segen. Einer, der die Wüste kennt wie seine Westentasche, mit dem man sich
zusammentun und eine Art Hoffnungsgemeinschaft bilden kann. So ein Mensch ist
nahe dran an einer Lebensversicherung. Vielleicht ist das jemand wie Adel, der
völlig anders drauf ist. Aber: er kennt das Beduinengesetz und beschütz dich. Oder
er weiß andere Dinge, die man wissen muss, um in Wüsten zu überleben. Mir
fallen David und Jonathan ein. Als David sich auf der Flucht vor Saul im
Wüstengebirge versteckt, findet ihn Jonathan dort, und es heißt: „er weckte
neues Vertrauen in ihm“. Vertrauen, weiterzumachen.
Im besten Fall lernt man das,
was Adel und Ben gemeinsam gelernt haben: einander zu vertrauen. Sich einander
anzuvertrauen. Dann findet man auch das Wasserloch in der Wüste. Oder, wie im Verlauf
der Geschichte von Ben und Adel, wieder aus dem Wasserloch heraus. Und manchmal
auch das gesuchte Kamel.
„Begegnen sich (2) Menschen beim Essen“.
Vorhin hab
ich gesagt: Lasst uns drauf schauen, was in dem Filmausschnitt, - und
eigentlich im Laufe des ganzen Films, zwischen diesen Männern passiert.
„Dein Gott mag mein Brot nicht.“ Da scheint etwas ganz Existentielles zwischen
ihnen zu stehen, als Ben das im Feuer gebackene Fladenbrot ablehnt. Es sorgt
für Irritation bei seinem Gefährten. Trotzdem machen sie gemeinsam weiter. Sie
erleben allerhand zusammen, als sie sich durch die Wüste schlagen. Und sie
erzählen sich. Immer öfter geht es um persönliche Dinge. Sie teilen sich
einander mit. Auch ihre Ängste. Ihre Liebe. Ihr Scheitern. Sie begegnen
einander, indem sie nicht nur ihr Überleben einander anvertrauen, sondern auch
ihr Herz. Irgendwann geht es wieder ums Essen. Am Lagerfeuer. Gemeinsam
bereiten sie Fladenbrot zu und essen es. Und Adel stellt fest: „Heute mag dein
Gott mein Brot.“ Der Ich-bin-da-Gott ist bei ihnen, weil sie das Brot gemeinsam
zubereitet haben. Und er schafft eine Verbindung über alles hinweg, was
zwischen den Männern steht. Sie lernen aus eigener Erfahrung: gemeinsam Essen
schafft Frieden. Wo Menschen gemeinsam an einen Tisch essen passiert Versöhnung.
Kann Vergeben werden. Und ist der Ich-bin-da-Gott mit am Tisch. Das ist so beim
Pessach feiern, beim Iftar und beim Abendmahl. Und auch beim Falafel-Imbiss am
Stehtisch im Kirchenkino. Daheim in der Familie und im No Name-Restaurant
mitten in der Wüste, das Ben und Adel am Ende ihrer kuriosen Reise eröffnen.
Mich, und
ich glaube viele von Ihnen auch, hat diese Begegnungsgeschichte berührt. Vielleicht
bewegt mich dieser Film deshalb so sehr, weil die Gegend, in der er spielt,
Frieden nötiger hat, denn je. Weil wir uns von Herzen wünschen, dass es solche Geschichten
auch „in echt“ gibt – und eben nicht nur im Film.
Ich bin mir sicher: sie gibt es, diese Geschichten. Nicht nur dort. Immer und überall,
wo Menschen zusammen essen, gehen Menschen verändert aus einer Begegnung
hervor. Eine Kultur der Gastfreundschaft, ein offenes Haus und ein offenes Herz
bewirkt deshalb vielleicht mehr, als manche Friedensverhandlungen. Egal ob im
Nahen Osten, in Europa oder hier bei uns in Wendlingen und in unseren Familien. Amen.
(Foto: Unsplash)