Freitag, 18. April 2025

Licht an! Ostern!

Licht an! Ostern!
Impuls zur Osternacht auf dem Wendlinger Friedhof am 20. April 2025 

„Sag mal, wird’s nicht langsam Zeit, das Licht anzumachen? Es ist schon nach 5 Uhr und die Feldlerche ist schon beim großen Halleluja!“
Er steht etwas zerknittert auf der Schwelle der Balkontüre, in der Hand die große Kaffeetasse mit der goldenen Aufschrift „Hot and Holy“.
Seraffiel sitzt nachdenklich im Sessel auf dem Balkon.
In eine Decke eingewickelt lässt er seinen Blick in die Ferne schweifen. Währenddessen verbrennt sich Jesus am dampfenden Kaffee die Zunge.
„Was hältst du davon, wenn wir das Licht einfach mal auslassen?“ denkt Seraffiel laut nach. „Wir könnten so tun, als ob du niemals auferstanden bist. Wir lassen die Welt ab heute einfach dunkel.“
Seraffiel grinst und dreht sich um zu Jesus. Als Erster Engel und Personal Trainer von #GottimHimmel darf er riskante Vorschläge bringen.
Jesus schaut ihn irritiert an. „Aber warum? Das steht doch gar nicht zur Debatte!“ Jesus redet sich in Rage.
„Warte! Ich bin diesen ganzen schweren Weg gegangen, um mit den Menschen ihr ganzes Elend zu ertragen und sogar ihren Tod!“
„Ja, und?“ Seraffiel steht auf und bewegt sich zur Kaffeemaschine.
„Was und? Jetzt so tun, als wäre ich nie auferstanden ist doch Blödsinn!“
Seraffiel drückt auf den Knopf und der Kaffee rinnt in die Tasse. „Die sind so routiniert, die merken gar nicht, dass Du auferstanden bis und dass du lebst. Glaube mir – die meisten denken nicht mal drüber nach!“
Jesus schluckt. „Und du willst ihnen jetzt einen Denkzettel verpassen?“ „So ähnlich.“ Seraffiel lässt sich wieder in den Sessel fallen.
„Ich möchte, dass sie darauf warten, dass es hell wird. Dass sie verunsichert werden und beginnen, nervös Fragen zu stellen. Vielleicht beginnt dann wieder der eine oder die andere zu beten!“
Jesus schüttelt zweifelnd den Kopf. „Ich weiß nicht, ob das klug ist. Ich zwinge niemanden, mir zu vertrauen. Und ich glaube auch nicht, dass die Menschen sich besinnen, nur weil wir jetzt Weltuntergangsstimmung inszenieren.“
„Warum nicht?“ Seraffiel wirkt ein bisschen frustriert, weil Jesus seine gute Idee mehr oder weniger mit 5 Teelöffeln Zucker in den Kaffee rührt.
„Seraffiel, wir müssen die Dunkelheiten nicht noch unerträglicher machen. Schau dir diese Welt doch an! Schau mal rüber nach Butscha! Dort haben sie gerade mit einer alten Kalaschnikow eine Drohne vom Himmel geholt. Willst du es denen wirklich antun, dass es dort heute Dunkel bleibt?“
„Ja okay, da könnten wir vielleicht eine Ausnahme machen. Schließlich hängt davon ab, ob Europa weiterhin in Freiheit leben kann.“ Seraffiel klingt etwas zerknirscht.
„Und in Silivri in der Nähe von Istanbul: glaubst du, es hilft den Inhaftierten dort im Gefängnis, wenn es dunkel bleibt? Die sind dort eingesperrt, weil sie sich für Demokratie und Menschenrechte einsetzen!“
Seraffiels Engelsblick reicht bis dorthin und er beißt sich auf die Lippen. „Die brauchen Licht und Hoffnung!“ stellt er nachdenklich fest. „Richtig. Auch durch die Hölle von Silivri bin ich gegangen, Seraffiel! Damit die Menschen dort nicht resignieren. Und vor allem nicht aufhören, laut für Gerechtigkeit einzustehen.“
Jesus bleibt mit seinem Blick nachdenklich an Seraffiels Tasse hängen. „Für Pillepalle bin ich nicht zuständig“ steht darauf. „Wirklich?“


Jesus zeigt mit dem Finger auf die Aufschrift der Tasse. „Seraffiel, was ist für dich Pillepalle?“
„Na ja… die Sorgen der einzelnen, kleinen Menschen eben. Die Mathearbeit von Nele, der Brustkrebs von Frau Müller und der Rosenkrieg zwischen Lia und Henry. So Kram halt. Ich mein… wir können uns doch nicht um alles kümmern?“
Seraffiels Flügel flattern verdächtig aufgeregt.
„Doch Seraffiel. Genau bei diesen kleinen Dingen fängt nämlich Hoffnung an. Und Frieden. Aber um vieles kümmern sich die Menschen sogar selbst. Sie helfen einander, spenden Trost, ermutigen sich gegenseitig, nicht aufzugeben. Sie reichen sich sogar die Hände zur Versöhnung. Aber wenn sie es vergessen, dann brauchen sie dich. Damit du ihnen zeigst, wie es geht.“
Seraffiel zieht sein Engelsgesicht zu einer Grimasse.
„Seit über 2000 Jahren arbeiten wir täglich daran, dass Menschen die Hoffnung nicht aufgeben. Aber jeden Tag versemmeln sie es wieder. Beschimpfen sich. Sterben vor Angst - oder weil sie sich hassen und deshalb gegenseitig umbringen. Irgendwann muss es doch mal gut sein?“
„Irgendwann ist es gut, Seraffiel. Ja. Aber bis dahin ist es unsere Aufgabe, den Menschen Hoffnung zu geben. Auch in der Form, dass jeden Tag die Sonne wieder aufgeht.“
Seraffiels Gesicht wirkt in der Zwischenzeit nachdenklich. „Meinst Du, dass es auch deshalb gut ist, dass sie immer wieder, also genaugenommen jedes Jahr, daran erinnern?“
„Ja, genau das!“ stimmt Jesus zu. „Es ist so wichtig, dass sie sich immer wieder daran erinnern, dass einmal die Welt stillgestanden ist vor Schmerz. Und dass dieser Schmerz nicht nur mein Schmerz war, sondern auch ihrer.“ Seraffiel steht langsam auf.
„Wir sollten wohl doch das Licht anmachen, sonst denken sie wirklich noch, dass es vorbei ist mit der Hoffnung - oder?“ Fragend schaut er Jesus an. „Seraffiel, es gibt gar keinen Grund, die Welt im Dunkeln zu lassen. Meine Auferstehung ist zwar schon ewig her und auch jetzt in diesem Moment geschieht Schreckliches. Gleichzeitig gibt so viele Möglichkeiten, dass diese Welt ein guter Ort sein kann! Menschen können sich lieben, sich unterstützen, sich füreinander einsetzen! Und sie können auch in Frieden leben.“
Seraffiel blickt auf die Erde. Er hat eine Gruppe Menschen im Blick, die auf einem Friedhof um ein Feuer stehen. Ein paar haben Instrumente dabei. Fast alle haben Kerzen in der Hand. „Sie haben sich sogar in der Nacht auf den Weg gemacht, um gemeinsam an der Hoffnung festzuhalten.“ stellt Seraffiel fest. „Verrückt. Aber das macht sie stark!“
„Ja!“ bestätigt ihn Jesus. „Denen macht so schnell keiner was vor. Die wissen, wem sie vertrauen.“
Seraffiel durchquert das himmlische Wohnzimmer mit entschlossenen Schritten.
„Was hast du vor?“ Jetzt ist Jesus irritiert.
Seraffiel hat allen Zweifel verloren und drückt auf den Lichtschalter. „Na dann…“ sinniert er zufrieden:  
„Licht an! Ostern!“      Amen




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