Dienstag, 15. April 2025

Wider Erwarten... gesehen!

Passionsandacht
14.04.2025 

Eusebiuskirche









(Foto: Pixabay)


I. Markus 14, 3-9 

3 Und als er in Betanien war im Hause Simons des Aussätzigen und saß zu Tisch, da kam eine Frau, die hatte ein Alabastergefäß mit unverfälschtem, kostbarem Nardenöl, und sie zerbrach das Gefäß und goss das Öl auf sein Haupt. 4 Da wurden einige unwillig und sprachen untereinander: Was soll diese Vergeudung des Salböls? 5 Man hätte dieses Öl für mehr als dreihundert Silbergroschen verkaufen können und das Geld den Armen geben. Und sie fuhren sie an. 6 Jesus aber sprach: Lasst sie in Frieden! Was bekümmert ihr sie? Sie hat ein gutes Werk an mir getan. 7 Denn ihr habt allezeit Arme bei euch, und wenn ihr wollt, könnt ihr ihnen Gutes tun; mich aber habt ihr nicht allezeit. 8 Sie hat getan, was sie konnte; sie hat meinen Leib im Voraus gesalbt zu meinem Begräbnis. 9 Wahrlich, ich sage euch: Wo das Evangelium gepredigt wird in der ganzen Welt, da wird man auch das sagen zu ihrem Gedächtnis, was sie getan hat. 

 

II. Katthult   

Sicher kennt ihr alle Michel aus Lönneberga.
Ja, der kleine schwedischen Lausbub
mit den vielen Streichen.
Ständig hat er irgendjemandes Erwartungen
einen Strich durch die Rechnung gemacht.
Auch, als er die Bewohner*innen
des Armenhauses an Weihnachten
zu einem großen Festmahl nach Katthult eingeladen hat.
Selbstverständlich wussten seine Eltern davon nichts.
Sie waren anderweitig eingeladen.
Was Michel in der Zeit tat,
tat er aus ganzem Herzen.
Weil er sah, wie diese alten und kranken Menschen
hungerten und froren.
Sie alle waren vom Leben gezeichnet.
Stinkend, zerzaust, halbtot gehungert
und insgesamt in einem desolaten Zustand waren sie.
Alle.
Alle, außer die „Komandora“,
die Leiterin des Armenhauses.
Ihr ging es gut.
Sie behielt nämlich alles für sich,
was eigentlich den Armen zustand:
die Wurst, den Schnupftabak für Stolle Jocke
und andere Dinge auch.  
Deshalb war sie auch in einem
recht vorzeigbaren Zustand
und ebenfalls außer Haus –
im Gegensatz zum Rest der Bewohnerschaft.
Sie war eingesperrt und wurde von Michel befreit.
Es war eine fröhliche Runde,
die – natürlich ohne die Kommandora –
in Katthult am Tisch saß.
Alle spachtelten, als ob es kein Morgen gäbe.
Bis alle Vorräte vertilgt waren.
Als die Eltern nach Hause kamen,
waren die Alten längst wieder im Armenhaus zurück.
Michel hat dafür mächtig Ärger bekommen
und musste lang im Tischlerschuppen sitzen.
Schließlich waren die Vorräte
für den Besuch gedacht,
der am nächsten Tag kommen sollte.
Aber Michel war das egal.
Die Armen hatten es nötiger.

III. Betanien

Betanien bedeutet übersetzt „Armenhausen“.
Es war das Armenhaus vor den Toren Jerusalems,
etwa 3 Kilometer außerhalb.
Ein ganzes Dorf, in dem die wohnten,
die besser außerhalb der Gemeinschaft bleiben:  
Lazarus zum Beispiel,
der von den Toten auferweckt wurde.
Er war so krank, dass er schließlich starb
und bestattet wurde.
Jesus hat ihn auferweckt,
als er schon gemüffelt hatte. Sonderbar.
Bei Lazarus wohnen seine Schwestern,
Maria und Martha.
Alle drei sind Freunde von Jesus.
In Betanien wohnt auch Simon, der Aussätzige.
Scheinbar hat er seine Krankheit überwunden.
Er empfängt wieder Besuch.
Dennoch war er von seiner Krankheit deutlich gezeichnet.
„Der Aussätzige“ – das war sein Unterscheidungsmerkmal.
Die Krankheit hat sichtbare Spuren hinterlassen.
Dort ist also Jesus zu Gast. In „Armenhausen“.
Bei den Menschen, die vom Leben nichts mehr erwarten.
Menschen, die dem Tod an manchen Tagen
näher waren, als dem Leben.
Jesus war bei Menschen,
die man gerne „auf Abstand hält“.
Sie riechen unangenehm.
Sie sagen unberechenbare Dinge.
Oder sie sitzen mit einem ausgelutschten
Starbucks-Pappbecher am Straßenrand,
und warten auf ein paar Münzen.
Mit denen gibt er sich ab.
Setzt sich mit ihnen an den Esstisch.   
Ja, Jesus.
Ausgerechnet der.

 

IV. 300 Silbergroschen 

Jesus sitzt inmitten der Armut
als sie neben ihm steht.
Eine Frau.
In der damaligen Gesellschaft
hatten Frauen nichts zu sagen.
Deshalb ist umso bemerkenswerter,
was geschah.
Es ist nur ein Sekundenbruchteil,
in dem ein Geräusch zu hören ist.
Kurz darauf spürt Jesus das Öl auf seinem Kopf.
Es duftet nach Myrre und Zimt.
Er schaut auf. Neben ihm steht Maria.
Jesus sucht noch nach Worten,
als die anderen Männer losdonnern:
„Was für eine Verschwendung!“
„300 Silbergroschen!“
„Was hast Du Dir denn dabei gedacht?“
„Du hättest es verkaufen können!
Dann hättest es für ein Jahr gereicht!“
„Und wenn du es selbst nicht brauchst,
dann verteil wenigstens das Geld im Dorf!
Schau dich doch um: so viele hätten es nötig!“

Es ist so menschlich, dass sie so denken.
Und eigentlich ganz wunderbar.
Sie sehen die Not und haben das Herz am rechten Fleck.
Wollen helfen.
Sehen einen Sinn darin, Geld für andere auszugeben.
Und sie wollten Jesus etwas zeigen:
„Wir haben verstanden, was Du uns gepredigt hast! -
Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!“
Kann – so betrachtet –
Jesus diese Verschwendung gutheißen? 


V. Wider Erwarten 

Wider Erwarten stimmt Jesus nicht ein
in die Schimpftiraden.
„Lasst sie in Frieden.
Sie hat ein gutes Werk an mir getan.
Die Armen habt ihr immer bei euch, mich nicht.“
Es ist nicht falsch, was gesagt wird.
Jesus bewertet das alles nicht.
Aber Jesus sieht, wer vor ihm steht.
Das macht den Unterschied.
Er sieht Maria.
Sie hat ihm zugehört, auch zwischen den Zeilen.
Und das erklärt er allen.
Maria hat eine Investition getätigt in die Zukunft.  
Nicht aus Pflichtbewusstsein.
Nicht aus einem sozialen Druck heraus.
Nicht weil sich etwas gehört
oder gesellschaftlich angemessen ist.

Vor Jesus steht eine Frau, die in völliger Freiheit
und Eigenverantwortlichkeit handelt.
Aus Liebe.
„Sie hat getan, was sie konnte und meinen Leib
im Voraus gesalbt für mein Begräbnis.“ 
Was das bedeutet, kann man nur erahnen.
Überliefert ist, dass die Salbung von Toten
im Judentum ein Liebeswerk ist.
Es ist das letzte „gute Werk“,
das man einem geliebten Menschen tun kann -
und bedeutsamer, als Almosen zu geben.

Eine Salbung bedeutet aber auch etwas anderes:
Du bist König und hast Macht von Gott.
Du bist der Messias.
Das hat Maria erkannt.

 

VI. …gesehen

„Lasst sie in Frieden!“ sagt Jesus deutlich.
Das ist keine Bitte, das ist ein Befehl.
Wie ein Schutzraum aus Worten
legt sich dieser Satz um Maria.
Und er ist nötig.
„Lasst sie in Frieden!“
Wer in einem Dorf wie Betanien lebt,
kennt die Energie, die aus der Armut wächst.
Der soziale Druck ist groß.
Man hätte gerne populäre Entscheidungen
und großzügige Geldgeschenke,
um Druck aus dem Kessel zu nehmen.
Eine Politik, die heute spürbare Entlastung bring.
Nicht eine, die eine bessere Zukunft
in den Blick nimmt.
„Lasst sie in Frieden!“
Maria ist nicht unzerstörbar.
Und Jesus weiß das.
Jesus schützt Maria, die ihr Innerstes und
ihre tiefste Überzeugung nach außen teilt.
Er sieht ihre Dünnhäutigkeit,
fürchtet zurecht, dass sie
an diese Geschichte zerbrechen könnte.
Schließlich hat sie, aus Sicht der Menschen,
ein Jahresgehalt zum Fenster hinausgeworfen.  
Der Mob weiß das.
Und er hat Macht.
Und sie fuhren sie an – heißt es da.
Das ist eine sehr klare Umschreibung
einer gefährlichen Lage.

„Lasst sie in Frieden!“
Ob Maria so im Mittelpunkt stehen wollte?
Vermutlich war es gar nicht ihre Absicht.
Sie hat vielleicht gar nicht bedacht,
was passieren könnte,
wenn sie Jesus auf die Weise ihre Liebe zeigt.

Vielleicht hat sie noch nicht einmal damit gerechnet,
dass Jesus sich so vor sie stellt.
Sie sieht.
Sie schützt.
 

Für mich ist das an der Geschichte wichtig.
Es ist kein Zufall.
Weil er das getan hat,
wurde diese Geschichte weitererzählt.
Die Geschichte einer Frau,
die tut, was ihr auf dem Herzen liegt.

Deshalb – wider Erwarten - gesehen wurde.
Von Jesus
und allen anderen auch.
Amen.


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