Montag, 29. März 2021

Gegenüber vom Grab: auf verlorenem Posten?

                                                                                                                         (Bild: pixabay)
Passionsandacht in der Eusebiuskirche am 29. März 2021

 

I.                  Hinschauen

Unerträglich waren die letzten Tage.
Alle paar Stunden wieder
neue schlechte Nachrichten
und letztendlich war auch
der letzte Funke Hoffnung dahin.
Nein, sie würden Jesus nicht im Stich lassen.
Die beiden Marias wissen, was zu tun ist.
Auch wenn es damals nicht gerne gesehen war,
wenn Frauen bei Gericht den Prozess beobachten:
Sie mischen sich unters Volk
und schauen sich alles an.
Alles.

II.               Dabeisein

Aus Matthäus 27:

  55Es waren auch viele Frauen da, die aus der Ferne alles mit ansahen. Seit Jesus in Galiläa wirkte, waren sie ihm gefolgt und hatten für ihn gesorgt.56Unter ihnen waren Maria aus Magdala, Maria, die Mutter von Jakobus und Josef, und die Mutter der Söhne des Zebedäus.

57Als es Abend wurde, kam ein reicher Mann aus Arimatäa. Er hieß Josef und gehörte zu den Jüngern von Jesus.58Er ging zu Pilatus und bat ihn um den Leichnam von Jesus. Da befahl Pilatus, ihm den Leichnam zu übergeben.59Josef nahm den Leichnam und wickelte ihn in ein frisches Leinentuch.60Dann legte er Jesus in seine eigene Grabkammer. Die war noch unbenutzt und in den Felsen gehauen. Schließlich rollte er einen großen Stein vor den Eingang zur Grabkammer und ging weg.61Maria aus Magdala und die andere Maria blieben dort und ließen sich gegenüber vom Grab nieder.

III.            Aushalten

Sie blieben dort.
Maria und Maria.
Genauer gesagt:
Maria von Magdala und „die andere Maria“.
Freundinnen, Begleiterinnen, Vertraute.
Jahrelang an der Seite von Jesus.
Eigentlich war es jetzt vorbei.
Wie in einem schlechten Film
haben sie von Weitem
die ganze Szene beobachtet.
Als wären Verurteilung und der Prozess
nicht schlimm genug gewesen:
jetzt wird Jesus auch noch
verspottet und ausgepeitscht.
Vorgeführt. Bespuckt.
Dabei gab es
für einen kurzen Moment
einen Lichtblick.
Es hätte anders kommen können,
aber das Volk wollte Jesus sterben sehen.
Nicht Barrabas.

IV.            Dortbleiben

Sie blieben dort.
Maria und Maria.

Worte brennen sich in ihre Seele
im Chaos rund um Golgatha.
Lästermaul.
König der Juden.
Rette dich selbst.
Gott soll dich doch retten!
Mach doch! Los!

Worte, die gesagt wurden
über ihren Freund.

Unerträgliche Worte.
Hetzworte.

Sie blieben dort.
Maria und Maria.

Und dann
Finsternis.
Ein Schrei.
Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?
Stille.
Erdbeben.
Tod.

Zum Fürchten.
Zum Weglaufen.
Alles.

Sie blieben dort.
Maria und Maria.

Sie blieben,
und sahen hin.
Obwohl sie hätten gehen können.
Sie waren #nur Frauen und
niemand hätte es ihnen übel genommen,
wenn sie zu Hause weitergeheult hätten.
Alleine.
Dort, wo es niemand sieht.
Maria und Maria
blieben.

V.               Moria 2

Zeitreise ins Jahr 2021.

Es ist laut.
Kindergeschrei mischt sich
in das verzweifelte Schluchzen der Mutter.
Es braucht dringend einen Arzt,
das Kind stirbt sonst.
Das Fieber ist hoch.
Die Wunde ist infiziert
und über Nacht hat eine Ratte
Elefs Bein angenagt.
Miriam kann beruhigen.
Aber mehr kann sie nicht tun.
Sie muss mit der verzweifelten Mutter abwarten.
Und zu hoffen.
Dass sie an der Reihe sind,
ehe das Kind stirbt.
Sie ringt um Worte.
Denkt: „Mein Gott, mein Gott…“
Das Bild brennt sich in ihre Seele.
Sie möchte weglaufen
von diesem gottverlassenen Ort.
Camp Moria 2
Aber Miriam bleibt.

 

VI.             Intensivstation

Ortswechsel.

Es ist laut.
Schrilles Piepsen
und schnelle Schritte bedeuten:
Notfall.
Wieder und wieder.
Täglich.
Stündlich.
Beatmungsgeräte kontrollieren.
Umlagern.
Lippen befeuchten.
Medikamente dosieren.
Monitor abschalten.
Augen schließen und Hände falten.

Desinfizieren nicht vergessen.
Angehörige benachrichtigen.
Weiter zum Nächsten.
14 Tage ohne Pause.

„Mein Gott, mein Gott…“
Warum dauert das alles so lange?

Marie seufzt.
Zwischen Maschinen und Menschen.
Zwischen Leben und Tod
bleibt kaum Zeit zum Atmen.
Zwischendurch überlegt sie,
ob sie das alles noch schafft.
Auf Station 22.
Aber Marie bleibt.

 

VII.         Gegenüber vom Grab

Zurück nach Golgatha.

Zu Maria und Maria.
Sie entscheiden sich auch zu bleiben,
als es schon zu spät ist
und die Lage aussichtslos.
Jesus ist tot
und wird in ein Grab gelegt.
Was soll man dann noch tun können?

Maria und Maria bleiben
und lassen sich nieder
gegenüber der Grabkammer.
Sie bieten dem Tod die Stirn.
Schauen ihm in die Augen.

Gegenüber vom Grab
haben sie im Blick, was passiert.
Sie geben die Kontrolle nicht ab.
Wer kann schon sagen,
was jetzt geschieht?

Aber gegenüber vom Grab sitzen und warten -
das muss man erst mal aushalten.

Gegenüber vom Grab
sitzen die,
die noch ein Fünkchen Hoffnung in sich tragen.
Weil Jesus nach 3 Tagen auferstehen wird.
So hat er es gesagt.

Gegenüber vom Grab sitzen die,
die glauben:
Gott kann noch etwas gut machen,
was eigentlich nicht mehr gut werden kann.

Und so setze ich mich zu Maria und Maria.
Auf verloren geglaubten Posten. 
Schaue dem Tod ins Auge.
Biete ihm die Stirn und
nenne beim Namen,
was nicht mehr gutzumachen ist:
 

VIII.      Hoffnung

Infektionszahlen und Inzidenzwerte.
Einsam Sterbende im Pflegeheim und
weinende Söhne und Töchter
beim letzten Zoom mit dem Ipad.

Erschöpftes Pflegepersonal, ratlose Ärztinnen.
Impfchaosmüde und Regierungswütige.
Arbeitslose Messebauer und
insolvente Cafébesitzerinnen.

Kinder und Jugendliche vor den Monitoren.
Und in den Schulhöfen mit Abstand und
ohne die tröstende Schulter der besten Freundin.
Erschöpfte Eltern und verwirrte Kleinkinder.

Ich sitze gegenüber dem Grab
und sehe von dort aus
auf das Mittelmeer.
Nehme nicht schweigend hin,
dass Menschen lieber sterben,
als in der Hölle zu leben.
Erhebe meine Stimme für sie
und all die anderen,
die dem Tod näher sind als dem Leben.

Ich sitze mit Maria und Maria da,
schaue auf das Grab und
sehe meinen eigenen Schmerz,
meine Müdigkeit und
meine eigenen Grenzen des Verstehens.
Die Grenzen meiner Hoffnung.

Ich sitze bei Maria und Maria
und frage:
Warum sind 3 Tage so lang?
Und warum geschieht
das Wunder nicht früher?
Und dann hoffe ich.
Und weine ich.
Und warte ich.
Mit Maria und Maria.
Bis der Engel sagt:

Fürchtet euch nicht!
Amen.   


Korn, das in die Erde, in den Tod versinkt,
Keim, der aus dem Acker in den Morgen dringt.
Liebe lebt auf, die längst erstorben schien:
Liebe wächst wie Weizen, und ihr Halm ist grün.

Über Gottes Liebe brach die Welt den Stab,
Wälzte ihren Felsen vor der Liebe Grab.
Jesus ist tot. Wie sollte er noch fliehn?
Liebe wächst wie Weizen, und ihr Halm ist grün.

Im Gestein verloren Gottes Samenkorn,
Unser Herz gefangen in Gestrüpp und Dorn –
Hin ging die Nacht, der dritte Tag erschien:
Liebe wächst wie Weizen, und ihr Halm ist grün.

(EG 98; Jürgen Henkys 1976)






Montag, 8. März 2021

#Spielraum2021: Ein Tag - Ein Wunder

Mirácoli wird 60. Generationen von Student*innen, gestressten Eltern, müden Büroangestellten und kochfaulen Ferienhausurlauber*innen ist der Italienurlaub aus der Pappschachtel für einst 1,85 DM heilig. Und auch wenn sich die Welt weiterdreht: auf Mirácoli ist Verlass. Es schmeckt immer gleich. (Zumindest fast. Einmal wurde die Rezeptur der Kräutermischung geändert. Das gab schlimm Beef für den Konzern.) Nudelwasser brennt nie an. Und die Portionsangaben auf der Packung hatten noch garniemalsnicht etwas mit dem Hunger eines 12jährigen EishockeyMöchtegernWeltmeisters zu tun. Auch darin ist Mirácoli konsequent.

Mirácoli ist ein Wunder. Das sagt schon der Namen. Der ist nämlich eine Ableitung vom italienischen „miracolo“. Und das englische „miracle“ ist uns auch geläufig. Ein Wunder, denn: wenn Spaghetti auf den Tisch kommen, motzt niemand. Ob mit oder ohne Pappschachtel. 

An dieser Stelle frage ich mich: was ist eigentliche das Wundersame daran? Sicher nicht die 08/15-Spaghetti, der Alubeutel mit dem Tomatenmark und das Tütchen mit der Würzmischung. Der Geschmack nach der Zubereitung ist es vermutlich auch nicht. Vielleicht ist es die Geschwindigkeit, mit der ein Essen auf dem Tisch steht – aber auch da gib es Konkurrenz.

Tragen wir das Wunder in uns? Möglicherweise ist das Wunder ein kollektives Bewusstsein für einen kleinsten gemeinsamen Nenner. So wie bei Jesus: Brot und Fisch. Nachzulesen im Neuen Testament, unter anderem hier: Markus 6 - BasisBibel (BB) - die-bibel.de (die-bibel.de). Mirácoli verbindet als eine Art „Speisung der 5000“ Hungrige quer durch die Zeiten – immerhin 60 Jahre - und quer durch Europa. Und immer ist noch eine Packung übrig. Aber vielleicht ist es auch das tiefe Wissen darum, dass sich Menschen, die gemeinsam Essen, nicht die Köpfe einschlagen. So wie beim Propheten Elisa im Alten Testament, nachzulesen hier:
2. Könige 6 - BasisBibel (BB) - die-bibel.de (die-bibel.de)

In diesem Sinne: Mahlzeit! Oder auch: Buon Apetito!