
Gottesdienst in Bodelshofen am 11.05.2025
Predigttext zum Sonntag Jubilate, in diesem Jahr in Württemberg der EKD-Opfer-Sonntag zugunsten der Seenotrettung:
Sprüche 8, 22-36
I.
Ich – die Weisheit
Darf ich mich vorstellen?
Ich bins, Sophia.
Den Namen kennt ihr alle,
jetzt kennt ihr auch seine Bedeutung. „Weisheit“.
Es gibt mich schon immer.
Es gab mich schon vor der Erschaffung der Welt.
Ich bin ein Teil dessen, den ihr mit „Gott“ anredet.
Und bin die, die ihr alle sein wollt.
Der Herr hat mich, die
Weisheit,
am Anfang seiner Schöpfung erschaffen.
Ich war das erste seiner Werke vor aller Zeit.
In längst vergangenen Tagen wurde ich geschaffen,
am Anfang der Erde, vor unvorstellbar langer Zeit.
Ich bin die Handwerkerin, die Ingenieurin,
die
Bedienungsanleitung für diese Welt.
Ich weiß, wie das Leben gedacht ist,
wie die Erde gesund bleibt und
wie ihr Menschen gut leben könnt.
Ich bin ein Teil des Schöpfergottes,
deshalb kann ich auch ein Teil von euch sein.
Ein Teil von Euch, ihr Spiegelbilder Gottes.
Ich bin Sophia.
Und Du bist Sophia.
Salomo, der kluge König, war auch Sophia.
Und viele vor uns,
und viele, die nach uns kommen werden.
II.
Big Sister
Ich bin Sophia.
Es gibt mich schon immer.
Ich habe die Welt erlebt ohne euch Menschen.
Die war gut. Wirklich.
Wir waren überaus zufrieden
mit der Schöpfung unseres Planeten:
Himmel und Erde, Wasser und Land, Sterne und Sonne,
Grünzeug überall – Efeu und
Sumpfdotterblumen,
Gräser und Apfelbäume.
Das Klima hat funktioniert.
Und als die Tiere dazu kamen,
Erdmännchen, Kugelfische und Giraffen, Papageien,
Maulwürfe, Axolotl und
Ameisenbären…
- hach, das war wirklich unterhaltsam.
Tag für Tag
war es für mich eine Freude,
die ganze Zeit lachte ich an seiner Seite.
Ich war fröhlich, dass es den Erdkreis gab.
Und doch: ohne Euch hat was gefehlt.
Erst als ihr Menschen da wart,
war diese Erde eine runde Sache –
im wahrsten Sinne des Wortes.
Erst als es euch gab, schauten wir auf unser Werk
und waren wir so richtig zufrieden.
Es wurde geliebt und gefeiert, geplant und nachgedacht,
gelacht und geteilt.
Ich war
fröhlich, dass es den Erdkreis gab,
und hatte meine Freude an den Menschen.
Wir waren uns einig: es war wunderbar,
was wir da erschaffen hatten.
Es war deshalb sehr gut,
weil wir nicht mehr mit der Erde alleine waren.
Wir hatten Menschen um uns herum,
die die Sehnsucht nach dem Leben mit uns teilten.
Göttliche Sehnsucht nach dem Vollkommenen.
Und nach dem Glück, das niemals aufhört.
Darin waren wir uns mit den Menschen einig.
III.
Error 404
Man kann sich fragen,
ob irgendwann ein Systemfehler passiert ist.
Irgendwann hat diese Erde nämlich nicht mehr funktioniert.
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Ihr Menschen schafft es wohl nicht immer,
auf eure wichtigste Ressource zurückzugreifen:
auf mich, Sophia. Die Weisheit.
Wie es dazu kam?
Ich fürchte, es begann damit,
dass Menschen versuchten,
die Freiheit von anderen zu begrenzen.
Aus Angst, selbst zu kurz zu kommen.
Seither spielt ihr nicht mehr das Spiel des Lebens.
Seither kämpft ihr ums Überleben.
Immer im Katastrophenmodus.
Wollt alles mitnehmen, was geht.
Ihr seid am liebsten euch selbst der*die Nächste.
Grenzt euch radikal von anderen ab.
Sichert materiellen Besitz und geistiges Eigentum.
Und so kommt es,
dass ich immer weniger von euch gefragt werde.
Wichtige Entscheidungen werden ohne mich,
Sophia, getroffen.
Weil ihr zu wissen glaubt, wie es geht.
Ihr versucht, möglichst viel richtig zu machen,
aber, so leid es mir tut:
ihr schafft es nicht, gerecht zu handeln.
Und so wird euer Systemfehler größer statt kleiner.
IV.
Fehlerprotokoll
Wenn
Systemfehler sich ausweiten,
dann ist man nicht mehr nur selbst betroffen.
Dann bedingt eine Entscheidung die nächste.
Immer mehr kommt die Welt in Unordnung.
Und immer weniger gleicht das Miteinander der Menschen
einem fröhlichen Spiel.
So wie es ursprünglich gedacht war.
Es ist Krieg an so vielen Orten.
Und mit Krieg meine ich nicht nur den Krieg mit Waffen
um ein Land oder eine Region.
Mit Krieg meine ich auch den Kampf um Überleben,
weil wirtschaftliche Entwicklungen
menschenwürdiges Leben unmöglich machen.
Eine Folge eines solchen Systemfehlers ist das,
was rund um das Mittelmeer passiert:
Unzählige von euch fliehen in der Hoffnung,
dass jenseits des Mittelmeers eine bessere Welt auf sie wartet.
Unzählige von euch lassen Familie, Land, Tiere, Haus,
Hof und Freunde zurück, um
neu anzufangen.
Unzählige von euch riskieren ihr Leben
auf einem kleinen Boot im Mittelmeer,
um irgendwo in Europa anzukommen.
Haben sie mich, Sophia, um Rat gefragt,
ehe sie losgegangen sind?
Ist es weise, sein Leben aufs Spiel zu setzen,
um auf gut Glück nach Europa zu kommen?
Ist es weise, dort zu bleiben, wo der Tod wartet?
Ist es weise, sie alle nach Europa reinzulassen?
Egal, wie ihr eine dieser Fragen beantwortet:
Ich, Sophia, wage zu behaupten:
Immer wird durch die Antwort irgendwo im System
eine Fehlermeldung erzeugt.
V.
Weise sind auch die andern
Systemfehler kann man reparieren.
Eigentlich.
Manchmal braucht es nur einen Neustart.
Kennt ihr die AEG-Regel?
Genau. Ausschalten, einschalten, gut.
Also noch mal von vorne überlegen, fühlen und handeln.
Nochmal jemanden um Rat fragen, eine andere Zeitung lesen oder eine
Zweitmeinung beim Arzt einholen.
Und dann macht man es anders.
Aber so einfach funktioniert es nicht immer.
Oft deshalb,
weil es nicht nur um Einzelne geht, sondern um Viele.
Manchmal braucht es umfangreichere Wartungsarbeiten.
Ihr jungen Leute, hört jetzt auf mich!
Glücklich zu preisen sind alle, die mir folgen.
Hört genau hin, damit ihr klug werdet!
Ich, Sophia, appelliere an viele.
Nicht nur eine*n braucht man,
um danach zu fragen, was weise ist.
Es ist immer gut, sich zusammenzutun.
Insbesondere dann, wenn es um Leben und Tod geht.
Wer mich findet, hat Leben
gefunden,
und der Herr hat Gefallen an ihm gefunden.
Wer mich aber verfehlt, schadet sich selbst.
Alle, die mich hassen, lieben den Tod.
Ja, es geht tatsächlich um Leben und Tod.
Wenn ihr heute versucht zu beurteilen, ob es weise ist,
im Schlauchboot übers Mittelmeer zu schippern,
dann fragt genau danach: geht um Leben oder Tod?
Und für wen?
Ich, Sophia, wähle immer das Leben.
Ich stelle mich auf die Seite derer,
die vom Tod bedroht sind.
Egal aus welchem Grund.
Auf welche Seite stellt ihr euch?
VI.
Bündnis für das Leben
Ich bin Sophia.
Es gibt mich schon immer.
Ich habe die Welt erlebt ohne euch Menschen.
Die war gut. Wirklich.
Mit euch Menschen war sie sogar noch besser.
Sehr gut sogar.
Auch wenn es dabei nicht geblieben ist
und wir uns alle an regelmäßige Systemabstürze gewöhnt haben:
Ich will, dass die Welt - mit euch Menschen
eine sehr gute - wieder wird und bleibt.
Aber dafür seid ihr selbst verantwortlich.
Wie das geht? Seid weise.
Stellt die richtigen Fragen!
Fragen, die dem Leben dienen und nicht dem Tod.
Und stellt sie an die richtige Stelle.
Mein Ziel ist eine Welt, in der alle Lust am Leben haben.
Nicht eine Festung, in der die einen draußen
und die anderen drinnen sind.
Ich wünsche mir eine Welt, in der alle Heimat finden,
nicht nur die Starken.
Eine Welt, in der man auch die hört,
die nur mit leiser Stimme reden und nicht
nur die Lauten.
Und eine Welt, in der sich die Menschen zusammentun,
die dem Leben dienen wollen,
die sich für das Leben verbünden.
Verbünden zu Bündnissen, die laut dafür einstehen, dass Menschenwürde nicht
verhandelbar ist.
Und auch zu Bündnissen,
die Schiffe losschicken und Flugzeuge,
um sinnloses Sterben zu verhindern.
Denn: „Man lässt keine Menschen ertrinken. Punkt!“
Ein Bündnis, das dem Leben dient,
ist United4Rescue.
Rund 1000 Organisationen,
darunter viele Kirchengemeinden, auch die in Wendlingen,
haben sich zu einem zivilgesellschaftlichen Bündnis zusammengeschlossen.
Ziel ist es, nicht nur die Arbeit der zivilen Seenotrettung im Mittelmeer zu
unterstützen,
sondern auch für eine faire Asylpolitik einzutreten.
4 Schiffe und ein Flugzeug sind derzeit für United4Rescue unterwegs.
Und alle versuchen sie, nach Kräften, die Auswirkungen eines Systemfehlers zu lindern.

Die Seenotretter*innen erleben jeden Tag alles:
Sie feiern das Leben mit den Geretteten
und trauern mit denen,
die einen Menschen verloren haben.
Sie reden über die Hoffnung
und helfen, Fluchterfahrungen und Traumata
zu verarbeiten.
Oft sind sie der Grund,
weshalb jemand überhaupt noch am Leben ist.
VII.
Zwischen Halleluja und SOS
Ich bin Sophia.
Erinnert euch an mich
und seht, wie wunderbar diese Erde ist -
aber seht auch eure Verantwortung.
Zwischen Halleluja und SOS bewegt sich das Leben,
nicht nur in der Seenotrettung.
Mal himmelhochjauchzend, mal zu Tode betrübt.
Oft gibt es keine einfachen Lösungen,
um einen Fehler im System zu beheben.
Und die einfachen, populistischen Lösungen -
die stammen nicht von mir.
Deshalb:
Ringt darum, dass dem Leben dient, was ihr sagt.
Und dass dem Leben dient, was ihr tut.
Geht so miteinander um, dass ihr alle gut leben könnt.
Hört den Hilfeschrei,
das SOS der Menschen, die euch brauchen.
Und feiert das Leben mit allen,
wenn es einen Grund zum Feiern gibt.
Wer mich findet, hat Leben
gefunden,
und der Herr hat Gefallen an ihm gefunden.
Amen.
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