Samstag, 14. August 2021

Biblische Wetterberichte: Land unter! (Über-)Leben zwischen Katastrophe und Sicherheit

 


„Land unter! (Über-)Leben zwischen Katastrophe und Sicherheit"
Sommerpredigtreihe 2021 im Distrikt Unterer Neckar

1. Mose 6,5-8,22

I.                    Land unter

Waren Sie schon einmal auf einer Hallig?
Hallig Hooge.
Hallig Langeneß.
Oder Hallig Süderoog.
10 davon gibt es in der Nordsee.
Im Prinzip sind es Inseln.
Solche, die bei Hochwasser überschwemmt werden.
Im Frühjahr oder Herbst,
wenn die Stürme kommen,
Wind und Regen.
Dann steigt das Wasser.
Immer höher und höher.
Und irgendwann heißt es:
„Land unter!“
Dann sind die Wege abgeschnitten.
Die Weiden überflutet.
Die Spielplätze unbespielbar.
Der Schiffsverkehr wird eingestellt.
Und die Menschen bleiben auf den Warften.



II.                  Warften

Warften.
Häuser und Höfe sind das,
die höher gebaut sind als der Rest der Insel.
Häuser und Höfe, die der Flut Stand halten.
Sie trotzen Wind und Wetter und Wasser und Wellen.
Wenn die Flut schlimm ist, dann reicht das Wasser
bis knapp unter die Fenster.
 
Aber: Man ist in Sicherheit.
Und dann sitzt man da.
Und muss aushalten, dass das Leben stillsteht.  
Erträgt, dass die Flut alles überspült.
Aber man weiß: Irgendwann ist es vorbei.
Und das Wasser fließt ab.
Der Weg zum Halligkaufmann ist wieder frei. 
Die Schafe gehen zurück auf die Salzwiese.
Die Halligkinder schaukeln wieder auf dem Spielplatz.
Das Postschiff kann wieder anlegen.
Und die Menschen finden wieder zueinander
und wissen: wir haben es geschafft.
 
Das Leben geht weiter.
Seinen gewohnten Gang.

 

III.                Noah

Noah blieb übrig
und alle, die mit ihm in der Arche waren.
150 Tage stieg das Wasser auf der Erde.

Noah blieb übrig.
Ja, mit seiner Familie war er in der Arche.
Dort sind sie alle sicher. Und am Leben.
Wie die Menschen auf den Halligen.
Sie wissen: Nach der Flut geht es weiter.
Aber Noah?
Er weiß nicht, was ihn erwartet.
Und er hat keine Ahnung,
was auf ihn und seine Familie zu kommt.
Wie das Leben weitergeht.
Ja, in der Arche sind alle am Leben.
Aber in der Gewissheit:
Wir sind übrig
und alle anderen sind tot.
Was jetzt kommt, weiß niemand.
150 Tage steigt die Flut und kein Land ist in Sicht.
150 Tage leben mit der Katastrophe –
aber mit offenem Ende.
Einzig die Zusage Gottes war da:
ich will, dass du überlebst.  
Noah bleibt übrig.


Da dachte Gott an Noah -
und an alle Tiere und das Vieh;
die bei ihm in der Arche waren.

IV.                 Denkt Gott? Steffen.

„Land unter!“ seufzt Steffen.
Seine Frau Annika ist vor einigen Wochen
an Krebs erkrankt.
Die Prognose ist ungewiss.
Mit drei Kindern muss er zusehen,
dass der Alltag mit Schule,
Kindergarten und Job funktioniert.
Wie es weitergeht weiß er nicht.
Er hofft, dass die Ärzte Recht behalten
und die Chemotherapie anschlägt.
Zu seinen Freunden hat er wenig Kontakt.
Kämpfen und hoffen und aushalten ist angesagt.
Denkt Gott an mich? fragt sich Steffen.

 V.                 Denkt Gott? Nadia.

„Land unter!“
Nadias Tränen hören nicht auf zu laufen.
„Er hat mich einfach sitzen lassen!
Und das, obwohl er weiß,
dass ich im 3. Monat schwanger bin.“
Sie war sich sicher:
Nick bleibt bei ihr. Sie kann ihm vertrauen.
Und gemeinsam schaffen sie das mit einem Kind.
Mit Wohnungssuche und Ausbildung.
Und mit ihrer Familie,
für die eine schwangere 16jährige
ein echtes Problem ist.
Aber jetzt ist sie ganz alleine.
Woher sie Unterstützung bekommen soll,
weiß sie nicht.
Denkt Gott an mich? fragt sich Nadia.

VI.               Denkt Gott? Brigitte und Heinz.

„Land unter!“ seufzt Heinz,
als er mit Tränen in den Augen
vor den Trümmern des gemeinsamen Hauses steht.
Nichts ist ihnen geblieben.
Alles hat die Flut zerstört und mitgerissen.
Auch das neue Badezimmer,
dass erst vor wenigen Wochen saniert wurde.
„Eigentlich dachten wir,
dass wir jetzt mit dem Gröbsten durch sind
und zusammen noch ein paar schöne Jahre
erleben können, hier in unserem Haus!“
erzählt der 80Jährige.
„Nun haben wir gar nichts mehr, nicht einmal mehr ein Badezimmer!“, ergänzt Brigitte.
Denkt Gott an uns? Fragen sich Brigitte und Heinz.
 

VII.             Denkt Gott? Ich.

„Land unter!“
denke ich manchmal selbst.
Wenn alles zu viel wird.
Wenn keine Lösung in Sicht ist.
Der Druck zu groß.
Die Kraft am Ende.
Denkt Gott an mich?

Da dachte Gott an Noah -
und an alle Tiere und das Vieh;
die bei ihm in der Arche waren.

VIII.           Auf Grund

      Nach 150 Tagen war das Wasser so weit gesunken,
      dass die Arche auf dem Gebirge Ararat aufsetzte.

Es ruckelt und kracht.
Die Balken biegen sich.
Der der Kahn läuft auf Grund?
Tatsächlich?
Nach dem ersten Schrecken kommt die Hoffnung.
Die Hoffnung, dass sich jetzt etwas zum Guten wendet.
Aber es dauert, bis das Wasser abfließt.
Und ganz langsam zeigt sich: es ist eine Gebirgsregion, in der die Arche aufgelaufen ist.
Das Wasser geht zurück,
und es kommt zum Vorschein, was Halt gibt.
Aber es wird auch deutlich:
Eine schnelle Lösung wird das nicht.
Bis das Wasser von der Erde verschwunden ist,
wird es lange dauern und auch
bis das Leben wieder das Alte ist.

 

IX.                Raben und Tauben

Bis dahin braucht Noah Gewissheit,
dass das Leben weiter geht.
Dass das „Projekt Arche“ eben nicht hier zu Ende ist:
inmitten der Katastrophe -
sondern zurück führt ins Leben.
Vielleicht nicht ins Alte.
Aber ins Leben.
Zwei Vögel lässt er fliegen.
Rabe und Taube.
Sie kehren immer wieder zurück zur Arche.
Noch ist Leben außerhalb der Arche nicht möglich.
Noah harrt aus und übt sich in Geduld.
Bis die Taube zurückkehrt
mit einem Olivenzweig im Schnabel.
Mit ihr kommt das Leben zurück.
Und der Mut.
Und das Vertrauen.
Irgendwo wächst wieder etwas.
Ein Hoffnungszweig mitten in all dem Furchtbaren.

 

X.                  Gott denkt an Steffen.

Steffen kämpft sich durch Tag für Tag.
Annika geht es zwar besser,
aber bis der Alltag wieder normal läuft, wird es dauern.
Steffen ist erschöpft.
Die Urlaubstage sind aufgebraucht und
er weiß nicht, wie es jetzt weitergehen soll.
Einen Anruf später weiß er:
Die Kolleg*innen spenden einen Teil ihres Urlaubs,
damit er bei seiner Familie sein kann.
Ein Hoffnungszweig.

XI.                Gott denkt an Nadia.

Nadia spürt das Kind in ihrem Bauch.
Sie liebt es. Egal, was jetzt kommt.
Sie hat entschieden, für sich und ihr Kind zu kämpfen.
Der Schulsozialarbeiterin hat sie sich anvertraut.
Sie vermittelt ihr unterstützende Angebote
für junge Mütter.
Bei einem Beratungstermin erfährt sie:
sie bekommt Geld.
Und eine Hebamme wird sie begleiten.  
Und sogar eine kleine Wohnung bekommt sie,
in der sie mit ihrem Kind dann leben kann.
Ein Hoffnungszweig.

 

XII.             Gott denkt an Brigitte und Heinz. 

Brigitte und Heinz werden die Bilder
von der Flut nie vergessen.
Mit knapp 80 Jahren stehen sie vor dem Nichts.
Sie könnten verzweifeln.
Aber das Gegenteil ist der Fall.
Sie finden Lebensmut in ihren Erinnerungen:
Heinz erzählt, sein Motto sei jetzt:
„Mit 81 Jahren, da fängt das Leben an…“
und Brigitte erinnert sich:
„Wir haben den Krieg als Kinder erlebt.
Das hier ist auch schlimm,
aber Menschen sind keine Feinde
und niemand wurde erschossen.
Wir schaffen das.“
Ein Hoffnungszweig.

 

XIII.           Hoffnungszweige

Am Abend kam sie zu ihm zurück.
Diesmal hatte sie in ihrem Schnabel
ein frisches Blatt von einem Olivenbaum.
Da wusste Noah,
dass das Wasser auf der Erde weniger geworden war.

Ein Olivenzweig wird zum Hoffnungszweig.
Nicht immer ist das so deutlich, wie bei Noah.
Weil Hoffnungszweige
unterschiedlich sind.
Und nicht nur mit Tauben daherkommen.
Sie kommen per WhatsApp, im Kuchenpaket,
als Brief vom Arbeitsamt und
per Telefon vom Klassenlehrer.

Hoffnungszweige kommen von innen.
Aus dem eigenen Schatz.
Und Hoffnungszweige kommen von außen.
Manchmal vielleicht auch ganz unscheinbar.

Hoffnungszweige machen nichts ungeschehen.
Sie verhindern keine Katastrophen.
Keine großen und keine kleinen.

Aber sie geben Mut und Kraft,
auszuharren in all dem was ist.

Und so weiß ich,
dass zu schaffen ist,
was nicht zu schaffe scheint.
Dass ich hindurchgerettet werden kann.
Ich weiß, dass Gott mich nicht vergessen hat.

Ich weiß, dass die Flut vorübergeht und
dass die Menschen sich wieder begegnen.
Beim Halligkaufmann und auf dem Wochenmarkt.
Ich weiß, dass die Schafe wieder zurück kehren auf die Salzwiesen
und Steffen zu seinen Kolleg*innen.
Ich weiß, dass die Kinder wieder schaukeln.
Und Nadjas Kind schaukelt mit.
Ich weiß, dass die die Postschiffe den Hafen wiederfinden.
Und Brigitte und Heinz ein neues Zuhause. Mit Badezimmer.
 

Ich weiß, dass es diese eine,
große Flut
nur einmal gab.
Die alles Leben vernichtet hat.
Seither gibt es ein Danach.
Gibt es Hoffnungszweige.
Für Noah.
Für Steffen und Annika,
Nadia, Brigitte und Heinz.
Und für uns alle.
Amen.





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