Sonntag, 28. Juli 2024

Psalm 150 - oder so ähnlich

 Worte nach Psalm 150 

Halleluja! Gott ist groß und überall.
Lobt Gott in euren Häusern und Kirchen.

Lobt Gott draußen unter dem großem Himmelszelt.

Lobt Gott, wenn ihr gemeinsam Gottesdienst feiert.

Lobt ihn, wenn ihr am Lagerfeuer sitzt
und zusammen singt.
Lobt ihn, wenn ihr auf dem Wasen
direkt vor der Bühne steht oder weiter hinten sitzt.

Lobt Gott, für alles, was er euch geschenkt hat.
Für Musik und Klänge: Leise und Laute.

Denn Gott ist groß.
Lobt Gott mit allen Instrumenten, die ihr spielen könnt. 
Lobt Gott mit Akustik- Gitarre und mit E-Bass!

Lobt Gott mit Schlagzeug und Rasseln!
Lobt Gott mit Glockenspiel und Blockflöte!

Lobt ihn mit Keyboard und mit Kontrabass!
Lobt ihn mit Saxophon und Tuba!

Lobt Gott mit Hiphop und mit Schlager!
Lobt Gott mit Hard Rock und mit klassischer Musik!
Und mit Liedern aus dem Gesangbuch lobt ihn auch.

Solange ihr atmen und singen und Töne von euch geben könnt:
Lobt Gott! Halleluja! 


Lord of the Lost: Blood and Glitter

Predigt zur 

Sommerpredigtreihe 2024 


I.                   Unser Lied

Ich sing dir mein Lied – 
in ihm klingt mein Leben.

Oder auch: Zeige mir deine Playlist –
und ich sage dir, wer du bist.

So steht es irgendwo in der
Ankündigung für diese Sommerpredigtreihe.
Der Eurovision Song Contest
jedes Jahr im Mai
ist auch so etwas wie eine „Playlist“.
Eine Playlist Europas.
„Unser Lied für den Eurovison Song Contest“ –
das ist das Motto jedes Frühjahr,
wenn die einzelnen Länder
ihre Lieder und Interpreten nominieren.
Und dann wird abgestimmt,
welches Land das beste Lied hat.
Das Lied, das ich ausgesucht habe,
war „unser Lied für Liverpool“.
Mit ihm ging im letzten Jahr Deutschland ins Rennen:
Lord oft the Lost – Herr der Verlorenen –
mit dem Titel „Blood and Glitter“.
Es ist auf dem letzten Platz gelandet.

Warum das so ist, weiß niemand so ganz genau.
Offenbar ist es ein Lied, das aus dem Rahmen fällt
und dazu auch eine Band, die aus dem Rahmen fällt.
Aus dem Rahmen des ESC,
aber auch aus dem Rahmen dessen,
was man von einer deutschen Band so erwartet.
Nach „Ein bisschen Frieden“,
„Guildo hat euch lieb“, „Wadde hadde dudde da“
und „Satellite“ war Blood and Glitter
ein Song, mit dem sich viele schwer getan haben. 
Ganz sicher sprengt er auch den Rahmen dessen,
was man in einer Kirche an Musik erwarten will.
Aber grade deshalb,
weil der Song ein Systemsprenger ist,
wurde er für mich interessant.
AUCH – oder erst recht für einen Gottesdienst.
 

II.                Der Song


 


 

Übersetzung: 

Blut und Glitzer, süß und bitter
Wir sind so glücklich, dass wir sterben könnten
Blut und Glitzer

Was wir sind, ist nur eine Entscheidung
Ein Versprechen an uns selbst
Wir sind frei, es zu brechen und uns zu ändern

Nie vergessen? Lass es gehen
Dies oder das? Das muss man nicht wissen
Ob oben oder unten
Wir sind alle vom selben Blut

Blut und Glitzer, süß und bitter
Wir sind so glücklich, dass wir sterben könnten
Blut und Glitzer, süß und bitter
Wir sind so glücklich, dass wir sterben könnten
Blut und Glitzer, Heiliger und Sünder
Wir fallen, bevor wir aufstehen

Jetzt geh, geh, lass dein Blut fließen, fließen
Mit gebrochenen Flügeln lernen wir fliegen
Wir sind Blut und Glitzer

Behalte den Kopf hoch in den Wolken
aber beide Beine auf dem Boden
Das Leben ist zu schnell, also mach was draus

Nie vergessen? Lass es gehen
Dies oder das? Das muss man nicht wissen
Ob oben oder unten
Wir sind alle vom selben Blut

Blut und Glitzer, süß und bitter
Wir sind so glücklich, dass wir sterben könnten
Blut und Glitzer, süß und bitter
Wir sind so glücklich, dass wir sterben könnten
Blut und Glitzer, Heiliger und Sünder
Wir fallen, bevor wir aufstehen… 


III.             Blut und Glitzer

Blut und Glitzer.
Starke Worte.
Starke Bilder.
Starke Gegensätze.
Und dann die Musik dazu: ebenso gegensätzlich.
Mal laut kreischend und schrill –
Und dann wieder ganz eingängig und melodisch.

Und die Menschen erst: 
Aufgestylt und geradezu verkleidet,
leichenblass, knallrot, goldglitzernd.
Irgendwas zwischen Gruftie und Harlekin,
Monster und Barbie.
Gegensätzliches
in jedem einzelnen Moment des Videoclips.
Eine theatralische, schrille, laute
und überwältigende Inszenierung.

Blood and Glitter
Süß und bitter
so glücklich, dass man sterben könnte.

Heilige und Sünder
Blut und Glitzer
hinfallen und aufstehen.
Widersprüchlicher geht es kaum.


IV.            Blut  I

Über Blut reden wir nicht gerne.
Fast alle empfinden eine natürliche Ekelgrenze,
wenn Blut sichtbar ist.
Aber klar ist auch:
In jedem von uns fließt es.
Auch in mir, In uns allen.
Dickflüssig und rot, wie nichts anderes.
Und wenn es sichtbar wird,
dann ist man in Gefahr.
In Lebens-Gefahr.
Blut hat seinen Ort und seine Funktion.
Es gehört in den Körper,
um uns am Leben zu erhalten.
In den Adern folgt es seinem Kreislauf
und das Herz gibt den Takt vor.
Wenn das Blut im Körper fließt,
ist der Mensch am Leben.
Wenn zu viel Blut aus dem Körper herausfließt.
kann ein Mensch sterben.
Deshalb ist Rot auch eine Warnfarbe:
Wenn zu viel Rot sichtbar wird,
besteht Lebensgefahr.
Fließendes Blut hat deshalb oft
einen Gruseleffekt.
Es schockiert,
macht Aufmerksam und
versetzt Menschen in Alarmbereitschaft.
Wenn Blut fließt,
Blut sichtbar ist,
geht es um die Frage
nach Leben oder Tod.

  

V.                Blut II

So auch in der Bibel. 
Auch da geht es um die Frage nach Leben oder Tod,
wenn von Blut die Rede ist.
Dahinter steckt die Vorstellung,  
dass Versöhnung mit Gott möglich ist,
wo Blut fließt.
Wo das eine Leben für das andere eintritt.
Weil Dinge wieder gut zu machen sind,
und das nicht einfach so passiert.

Eine der spannendsten Geschichten
ist wahrscheinlich die von Abraham und Isaak.
Abraham war dabei, seinen Sohn zu opfern,
als Gott dem Einhalt geboten hat:
er will kein Menschenopfer.
Gott sei Dank -
im wahrsten Sinne des Wortes.
Und dann Jesus.
Auch er greift diese Bild auf.
Gibt seinen Jüngern Wein mit den Worten
„Das ist mein Blut“.
Kurz darauf stirbt er - 
einen blutigen Tod am Kreuz.  


VI.            Glitzer I

Das krasse Gegenteil dazu: Glitzer.
Im Film goldene Schnipsel
eines leichten, durch die Luft wirbelnden Materials.
Kleine Fragmente, zusammenhanglos.
Nicht in geordneten Bahnen,
sondern durcheinander.
Schillernd. Das Licht reflektierend.
Glitzer spiegelt Licht und Farbe
und ist in alle Richtungen beweglich.
Glitzer macht das Leben leichter.
Wenn etwas glitzert,
dann ist das ein Grund zur Freude.
Kein Grund zur Panik oder gar eine Warnung.
Glitzern tut eine Prinzessin  
und Goldkrümel auf der Geburtstagstorte.
Es glitzert das nagelneue 2-Euro-Stück in der Sonne.
Es glitzert der Strandsand in der Sommersonne und
der Eiskristall in der Januarsonne auch.
Es glitzert der Diamantring am Finger und
die wunderschöne Kette am Hals der Braut.
Der Liedschatten mit Glitzer
macht ein Gesicht noch strahlender,
als ein normales Make Up.
Und wenn man sagt, dass die Augen glitzern,
dann ist man vor Freude so glücklich,
dass man ein Tränchen verdrücken muss.  
Mit Glitzer verbinden wir die wunderschönen
Dinge des Lebens.
Besondere Momente.
Highlights, die es nur selten gibt.
Und man sagt: Mit ein bisschen Glitzer,
wird der Alltag viel schöner.


VII.          Glitzer II

Auch die Bibel
kennt die schönen Dinge des Lebens.
Das Feiern und das Lachen
und das Heilige.

Die Bundeslade,
in der die heiligsten Dinge aufbewahrt wurden
war überzogen mit feinstem Gold.
Sie kennt das Glitzern und den Glanz
von Naturschauspielen und
Edelsteine und Perlen als Schmuck
für besondere Momente.
Und am Ende, wenn alles gut ist,
- auch das was nach menschlichem Ermessen
nie wieder gut werden kann –
(Jesus nennt es Himmelreich
und vergleicht es mit einer Perle)
dann wird auch da nicht gespart
mit Gold, Glitzer und Edelsteinen.
Bis es soweit ist
wird das Leben gefeiert.
Wird Wertvolles verschenkt –
auch dem Kind in der Krippe wird Gold gebracht.
Wird großzügig geschmückt –
sogar die Gräber.
Und es wird gefeiert –
manchmal sogar im Überfluss.

 

VIII.       Blut UND Glitzer

Blood and Glitter
Süß und bitter
- Zeilen voller Widersprüche.
Hinfallen, aufstehen,
zum Sterben glücklich -
so widersprüchlich kennt man das Leben.
Kennen Menschen das Leben.
Kennt die Bibel das Leben.
Und Jesus auch.
Blut und Glitzer gehören zusammen
und zum gleichen Leben.
Das Bedrohliche und das Wunderbare -
beides findet gleichzeitig statt
auf diesem Planeten:
Ein Kind wird geboren
und ein anderes kommt ums Leben.
Der eine ist vor Freude aus dem Häuschen
und die andere am Boden zerstört.
Und manchmal gehört beides
zu unserem eigenen, einzigartigen Leben.
Blut und Glitzer,
Süßes und Bitteres gleichzeitig.
Noch nie hab ich das so extrem wahrgenommen
wie in der Zeit, als meine Ehe zerbrochen ist.
Da ging was kaputt und war schmerzhaft und schlimm.
Und gleichzeitig konnte ich
wieder ich selbst werden –
und habe meinen eigenen Wert wieder entdeckt.
Aber eben nicht ohne einen schmerzhaften Verlust.
Seither ist einer meiner Lieblingssprüche:
Never lose your Sparkle -
verlier‘ dein Funkeln, dein Glitzern nicht.

Blood and Glitter gehören zusammen.
Mehr noch:
die Erfahrung von Schmerz und Schönheit
bringt Menschen zusammen.
We are all from the same blood
- wir sind alle vom gleichen Blut.
So singt und musiziert und inszeniert das
Lord oft he Lost.
Und vielleicht gibt es nur wenig Musik
neben Dark Rock, Hard Rock oder Heavy Metal,
die das in dieser Gleichzeitigkeit
und in dieser Intensität zum Ausdruck bringt:
mal schrill, laut und gewaltig
und im nächsten Moment
melodisch, rhythmisch und zum Mitsingen.

Wir sind alle Menschen.
Und alle machen die Erfahrung
dieser Widersprüche,
im Kleinen, wie im Großen.
Auch hier in diesem Land,
ist vieles widersprüchlich:
Es gibt viel Reichtum,
UND viel Armut.
Wir haben ein Schulsystem,
das viel ermöglicht,
UND es gibt Kinder,
die keine Chance auf Bildung haben.
Wir investieren Millionen
in die medizinische Forschung,
UND Menschen sterben an Krebs.
Blut UND Glitzer. Gleichzeitig.
Beides gehört zu unserem Leben, 
zur manchmal harten Realität.

Was aber auch Realität, 
uns aber viel zu selten bewusst ist:
With broken wings, we learn to fly
We are blood and glitter
Mit gebrochenen Flügeln
lernen wir zu fliegen.
Wir sind Blut und Glitzer.
Wir sind zerbrochen
und heil zugleich.
Wir alle.  

 

IX.             Ich bin gewiss

Kein anderer als Jesus selbst
hat das am eigenen Leib durchlebt.  
Bis zum Ende.
Keiner war so zerbrochen wie er,
hat um sein Leben gekämpft
und verloren.
Und keiner ist so vollständig
ins Leben zurückgekehrt, wie er.
Hat geglitzert am Ostermorgen
und an den Tagen danach,
obwohl seine Narben noch sichtbar waren.
Und wer ihm begegnet ist,
hat von ihm gehört:  
Ich bins. Fürchte dich nicht!

Und so leihe ich mir Worte von Paulus,
der Blut und Glitzer kennt -
und den Auferstandenen auch.
Worte, die uns vielleicht sogar bekannt vorkommen:

Denn ich bin gewiss,
dass weder Blut noch Glitzer
weder Tod noch Leben,
weder Engel noch Mächte noch Gewalten,
weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, 
weder Hohes noch Tiefes
noch irgendeine andere Kreatur
mich scheiden kann
von der Liebe Gottes,
die in Christus Jesus ist,
unserm Herrn. (Römer 8, 38f)
Amen.

 

 


Sonntag, 14. Juli 2024

Es reicht!


Es reicht!
2. Mose 16, 2-3 und 11-18   

Gottesdienst
im Johannesforum Wendlingen
und in der Jakobskirche Bodelshofen
am Sonntag, 14. Juli 2024 


I.                   Omas Küchentisch I

Für mich ist es eine der wichtigsten Kindheitserinnerungen:
Omas Küchentisch, um den wir alle saßen.
Immer samstags um halb vier.
Meine Brüder Martin und Simon,
meine Cousine Annette,
meine beiden Vettern Christoph und Thomas
und manchmal auch unsere Eltern
oder Helga
oder jemand anderes aus der Nachbarschaft.
Und natürlich Opa
auf seinem Platz an der Stirnseite.
Und ich auch,
auf der Eckbank zwischen den anderen.
Manchmal wir alle.
Und manchmal nur ein Teil von uns.
Und dann wurde aufgetischt von Oma.
Salzblaaz gabs immer.
Mit Schnittlauch und Kümmel.
Im Sommer Mirabellenkuchen
und im Winter Streuselkuchen.
Dazu Kaffee mit Würfelzucker
aus den weinroten Tassen,
gelben Sprudel
und im Herbst Süßmost
aus dem Senfglas mit Mogli.  
Immer samstags „um Halber“.
Nie war zu wenig auf dem Tisch.
Nie ging jemand hungrig nach Hause.
Es hat immer gereicht.

 

II.                Früher war alles besser!

Früher war alles besser!
Ja, damals, als wir noch
bei Oma am Küchentisch saßen.
Als wir uns die Bäuche vollschlugen
mit Salzblaaz und gelbem Sprudel
und Mirabellenkuchen
und Kaffee mit Würfelzucker.
Niemand von uns dachte damals daran,
dass es irgendwann anders sein würde.
Niemand hatte auf der Pfanne,
dass auch das Leben von Oma einmal
zu Ende sein würde,
und dann niemand mehr Kuchen backt.
Niemand von uns wusste,
wohin uns unser Leben führen würde
wenn wir älter werden –
und weggehen müssten.
Weg von Omas Küchentisch.
Was sich damals niemand vorstellen konnte.  
Verschiedenste Wege wurden daraus
im Lauf der Jahre.
Nicht alle waren einfach.
Aber alle wurden irgendwann gut.
Wenn wir uns sehen,
erinnern wir uns oft an Omas Küchentisch
und die guten, alten Zeiten.
Und manchmal sind wir traurig, dass sie vorbei sind.

 

III.             Volk Israel I

An die guten, alten Zeiten
erinnert sich auch das Volk Israel in der Wüste.
Es rottet sich gegen Mose und Aaron zusammen.
Sie murrten:

»Hätte der HERR uns doch getötet,
als wir noch in Ägypten waren!
Dort saßen wir vor vollen Fleischtöpfen
und konnten uns an Brot satt essen.
Aber ihr habt uns herausgeführt
und in diese Wüste gebracht,
damit die ganze Gemeinde verhungert!«

Es reicht!
Das Volk Israel hat keinen Bock mehr!
Sie fühlen sich von ihrer Regierung, Mose und Aaron,
an der Nase herumgeführt.
Eigentlich sollte doch alles besser werden,
wenn sie dieses fürchterliche Ägypten
erst mal verlassen haben.
Sklaven waren sie dort! Unfreie Menschen.
Und alles hätte besser werden müssen als das.
Aber nein, nun irren sie durch die Wüste
ohne Sinn und Ziel – und haben Hunger.
Man hat ihnen die Freiheit versprochen -
aber nun wartet der sichere Tod auf sie.
Ohne Nahrung kein Leben.
Die Wüste ist gnadenlos.

„Wären wir doch nur in Ägypten geblieben!“
Wer kann den Israeliten diesen Satz verübeln?
Sie hatten dort zu Essen und waren versorgt.
Was sie nicht hatten, war Freiheit.
Aber was ist Freiheit wert,
wenn man alle Sicherheit dafür aufgibt?
Was ist Freiheit wert,
wenn das Risiko zu sterben
höher ist, als die Chance zum Überleben?

Überfordert waren sie
und nörgelig.  
Und mit der Gesamtsituation unzufrieden.  

 

IV.            Es reicht!

Es reicht!
Das schreien die, die davon überzeugt sind:
Wir kommen zu kurz.
Und wenn die Aussage „Es reicht!“
gepaart ist mit Jammern und Murren
und der Überzeugung
„Früher war alles besser“,
dann passieren Dinge, die nicht gut sind.
Ein Blick in die Geschichte:
Das Ende der Weimarer Republik
war geprägt durch solche oder ähnliche Gesinnungen.
Inflation und das Gefühl von sozialer Ungerechtigkeit
führten zu großen Unruhen,
bis hin zu politischen Morden.
Der Aufschwung war vergessen,
der vergleichsweise hohe Lebensstandard bedroht.
Die Schere zwischen arm und reich
klaffte immer weiter auseinander
und die einst so gefeierte Freizügigkeit
wurde zur Bedrohung der nationalen Identität.
Wer bin ich eigentlich,
dass ich etwas von dem hergebe, was mit zusteht?

Es reicht!
So argumentieren auch die,
die neulich bei den Europawahlen
ihr Kreuz so gesetzt haben,
als wären sie in der Wüste.
Als müssten um ihr Überleben bangen.
„Es reicht!“ und
„Früher war alles besser!“
schreien Menschen auch heute und sagen,
dass die Mark mehr wert war als der Euro.
Oder dass die Renten früher sicherer waren,
und die Straßen auch.   
„Es reicht!“ und
„Früher war alles besser!“
schreit, wer ein Europa mit offenen Grenzen
als Bedrohung erlebt und Angst hat vor den vielen,
die zu uns kommen in der Hoffnung,
hier leben zu können.
„Es reicht!“ und
„Früher war alles besser!“
Schreien die, die in Freiheit leben
und doch Angst haben,
zu kurz zu kommen.
Angst davor haben, etwas zu verlieren,
das ihnen Sicherheit gibt.
Wie die Geschichte der Weimarer Republik ausgegangen ist,
wissen wir.
Dass sich Geschichte wiederholt,
wissen wir auch.
OB sich Geschichte wiederholt,
liegt in unserer Hand.
Und in den Händen aller,
die mit Freiheit größere Hoffnungen verbinden,  
als mit den vermeintlich sicheren
Fleischtöpfen Ägyptens.

V.                 Volk Israel II

Der HERR sagte zu Mose:
»Ich habe das Murren der Israeliten gehört und lasse ihnen sagen: ›Gegen Abend werdet ihr Fleisch zu essen bekommen und am Morgen so viel Brot, dass ihr satt werdet. Daran sollt ihr erkennen, dass ich der HERR, euer Gott, bin.‹«

Am Abend kamen Wachteln und ließen sich überall im Lager nieder, und am Morgen lag rings um das Lager Tau. Als der Tau verdunstet war, blieben auf dem Wüstenboden feine Körner zurück, die aussahen wie Reif. Als die Leute von Israel es sahen, sagten sie zueinander: »Was ist denn das?« Denn sie wussten nichts damit anzufangen. Mose aber erklärte ihnen: »Dies ist das Brot, mit dem der HERR euch am Leben erhalten wird.

Und er befiehlt euch: ›Sammelt davon, so viel ihr braucht, pro Person einen Krug voll. Jeder soll so viel sammeln, dass es für seine Familie ausreicht.‹«

Die Leute gingen und sammelten, die einen mehr, die andern weniger. Als sie es aber abmaßen, hatten die, die viel gesammelt hatten, nicht zu viel, und die, die wenig gesammelt hatten, nicht zu wenig. Jeder hatte gerade so viel gesammelt, wie er brauchte. 

 

VI.             Es reicht!

In der Wüste kann man überleben. 
Nicht automatisch.
Man muss dazu die Geheimnisse der Wüste kennen,
die Geheimnisse des Lebens,
und manchmal die des Über-lebens auch.
Dazu gehört auch, dass man sich denen anvertraut,
die in der Wüste zu Hause sind.
Die die Wasserquellen kennen
und auch die unsichtbaren
und vom Sand verwehten Wege.

Davon war das Volk Israel weit entfernt.
Mose und Aaron hatten zwar
eine Idee von Freiheit
und den Auftrag, die Menschen dahin zu führen,
aber aus der Sklaverei in die Wüste:
das sind schwierige Alternativen.  
IHR habt uns hierhergebracht.
IHR seid schuld an unserer Lage.
Die ganze Situation war heikel und drohte zu scheitern.
Das Volk war sauer.
Sauer, am Ende der Kraft,
und durchaus in Lebensgefahr.

Und dann passiert, was nicht vorhersehbar war.
Ein wütender, regierungskritischer Mob
macht eine Erfahrung: 
Aus einem erbosten „Es reicht!“
wurde ein erstauntes „Es reicht!“
Und zwar für alle!
Wachteln und Manna, Himmelsbrot.
Immer genau so viel,
dass an diesem Tag alle satt wurden.
So viel, dass es zum Leben reicht.
Und wer gierig mehr genommen hat,
als an einem Tag essbar ist,
dem verfaulte das Übrige.

 

VII.           Reality-Check

Wir sind nicht das Volk Israel in der Wüste.
Was damals passiert ist, ist längst Geschichte.
Aber wenn ich manche Diskussion
auf mich wirken lasse,
erinnert mich manches an diese Begebenheit.  
Wie schnell habe ich das Gefühl,
zu kurz zu kommen?

Das geht schon los beim Bäcker,
wenn die Wunsch-Brotsorte nicht da ist.
Oder im Café Freiheit,
wenn an manchen Montagen
über die Größe der Kuchenstücke diskutiert wird
und wieviel man dafür jetzt
in die Kasse wirft.

Und es geht hin bis zur Frage der Steuerentlastung.
Die jetzt mal jemand anderes im Geldbeutel spürt –
und ich nicht.

„Es reicht!“
Das ist so schnell gesagt!
Schnell, populistisch und oft ungeachtet
vieler anderer Aspekte, die auch wichtig sind.
So wie das Volk Israel in dieser Situation
vergessen hatte, dass sie jetzt in Freiheit sind.
Aber davor Sklaven waren. Unfreie.

Vielleicht hat es die Wüstenerfahrung
für die Israeliten gebraucht:
In der Wüste wurde aus einem populistischen
„Es reicht!“ ein überraschtes „Es reicht!“:
Eine Feststellung, dass für alles gesorgt ist.
Ein Staunen darüber, dass man
als Volk in der Wüste überleben kann,
wenn man aufeinander achtet.
Und sich jede*r nur das nimmt, was er*sie braucht.

 

VIII.       Omas Küchentisch II

Zurück zu Omas Küchentisch.
Dort wurde nicht nur gegessen,
es wurde auch viel erzählt.
Vor allem von Opa.
Von Wüstenerfahrungen,
die damals „Krieg“ und „Nachkriegszeit“ hießen.   
Zeiten, in denen man heute nicht wusste,
wovon man morgen satt werden sollte,
und ob man überhaupt noch am Leben war.
Geschichten von Flucht und Gefangenschaft,
vom Zu-Kurz-Kommen, von Unfreiheit
und von einem populistischen „Es reicht!“,
das Millionen Menschen das Leben kostete.

Diese Geschichten kamen zusammen
mit Salzblaaz, Mirabellenkuchen und gelbem Sprudel
an Omas Küchentisch.
Jahrelang, Samstag für Samstag.

Nein, es waren nicht nur Opas Geschichten.
Es war auch nicht nur Omas
voll gedeckter Tisch.
Beides zusammen war wichtig -
am Samstagnachmittag um halb vier
und bis heute.

Jetzt, viele Jahre später,
- beide leben beide längst nicht mehr -
meine ich eine Botschaft verstanden zu haben,
die sie uns – bewusst oder unbewusst -
mit auf den Weg gegeben haben:
„Es reicht!“ -  tatsächlich für alle.

Amen.