Sonntag, 21. April 2019

Die helle und die dunkle Seite des Steins

Auferstehungsfeier
Friedhof Frickenhausen
Ostersonntag 2019


Wir haben ihn in der Hand.
Einen Stein.
Kalt ist er
und schwer. 

Schwer liegt er auf der Seele
oder im Magen.

Manchmal
ist er auch ein Kloß im Hals.

Trauerkloß.
Wutkloß.
Sorgenkloß.

Aber wenn die Sonne auf ihn scheint,
ist alles anders.
Warm ist er dann.
Und rund.
Ich trage ihn in meiner Hosentasche
und genieße es, wenn seine runde Form
meine Hände schmeichelt.

Und wenn er groß ist
und am Wegrand liegt
lädt er ein
zu einer Pause. 


Zwei Seiten hat er
dieser Stein.
Eine Helle und eine Dunkle.

So wie das Leben zwei Seiten hat:
eine Helle und eine Dunkle.

Ich betrachte die dunkle Seite.
Der Stein liegt vor dem Grab.
Die Öffnung ist verschlossen.
Kein Licht scheint hindurch.
Todesstille.
Gefangen bin ich
in meinen Gedanken,
in Ängsten.
In Zweifeln.
Ich sitze im Grab.
Spüre Trauer,
Einsamkeit,
Vergänglichkeit.
Sehe dem eigenen
Sterben-Müssen ins Gesicht.
Spüre Dunkelheit
in jeder Faser meines Körpers.
In mir nur Zweifel.
Und Fragen.
Wo sind die Toten?
Was macht der Tod mit mir? 

Ich spüre die Last und die Kälte des Steins.
Schwer liegt sie auf der Seele.
Ich denken an Menschen,
die fehlen.
Deren Platz am Tisch nun frei bleibt.
Menschen, für die ich gesorgt habe.
Menschen, die einen Weg mit mir gegangen sind.
Menschen, die ich geliebt habe.
Den Ehemann.
Die Lebensgefährtin.
Sohn oder Enkelin.
Vater oder Schwiegermutter.
Freundin oder Kollege.

Hier auf dem Friedhof
ist Ort der Trauer.
Für uns alle.
Trauer verbindet.
Hier erinnern wir uns an die,
die uns fehlen.
Sie alle haben Namen.

STILLE

Früh morgens
sind sie unterwegs zum Friedhof.
Maria, Maria und Salome.

Ihre Seele schwer wie Stein.
Wie ein dunkler Stein.
Er fehlt ihnen jetzt schon.
Jesus.
Im Grab liegt er.
Wichtigster Mensch.
Rabbi.
Freund.
Weggefährte.

Am Kreuz wurde er hingerichtet.
Sie konnten es nicht verhindern.
Viel zu kurz war sein Leben.
So viel
hätte er ihnen noch sagen können.
Über Gott.
Und das Leben.
Über die Liebe und
die Ewigkeit.

Geschichten hätte er erzählt
und Brot geteilt.

Mit ihm starb ein Teil
ihrer Seele.
Auch sie liegt im kalten Grab.
Bei Jesus.
Ihn wollen sie salben
mit kostbarem Öl.
Ihm eine letzte Ehre zuteilwerden lassen.
Und vielleicht ihrer eigenen Seele
damit auch etwas Gutes tun.
Zum Trost
und gegen die Grabeskälte.

Aber der Stein war bereits warm
vom Licht der aufgehenden Sonne.

Und er war weggerollt.
Das Grab war offen.
Jesus lebt.
Der Engel hat es gesagt.
Hell und warm
liegt der Stein vor ihnen.
Die Dunkelheit ist vorbei.

Fassbar ist das nicht.
Begreifbar auch nicht.
Der Kopf spielt verrückt
und die Emotionen fahren Karussell.
Eigentlich ist es sogar eher zum Fürchten.

Maria, Maria und Salome:
Sie versuchen,
es irgendwie zu verstehen
und es ist,
als kriecht ihre Seele
aus dem Grab.
Heraus aus der Kälte
der Sonne entgegen.
Und der Wärme.
Ihre Seele lebt
und ist frei
und nicht mehr gefangen
in Trauer und Schmerz.

Maria, Maria und Salome.
Und Ida und Martin
und Ernst und Hannelore.
Und ich.
Und Jesus.

Frei und lebendig und auferstanden.

Hell und warm ist der Stein
im Licht der Ostersonne.

Wenn man den Stein
im Licht des Ostermorgens sieht,
dann ist man draußen.
Vor dem Grab.
Es ist hell und die Vögel zwitschern.

Wenn man den Stein
im Licht des Ostermorgens sieht,
dann ist es der Stein,
der weggewälzt wurde
von diesem dunklen Grab,
in dem auch die Seele stirbt.

Wenn man den Stein
im Licht des Ostermorgens sieht,
dann fühlt er sich warm an.
Und hell.
Und lebendig.

Dann erinnert er uns an Oma Berta
und die frisch gekochte Erdbeermarmelade
die nur schmeckt,
weil Oma sie selbst gekocht hat.

Dann erinnert er uns an die Studienkollegin Britta
und an gemeinsame Urlaube in der Schweiz,
und an das Foto
mit dem Gipfelkreuz.

Wenn der Stein zur Seite gerückt ist,
dann erinnert das an den Kollegen Thomas.
Und Gulasch mit Pellkartoffeln
zum 40. Geburtstag.

Wenn der Stein zur Seite gerückt ist,
dann riechen wir die Schmiere
in Vaters Werkstatt,
in der es nie anders roch, als genau so.

Wenn wir uns hier auf dem Friedhof umsehen,
sehen wir Steine im Licht der Ostersonne.
Ostern verwandelt Grabsteine
in Hoffnungssteine. 

Weil Jesus auferstanden ist
und lebt
haben wir Hoffnung.

Wie Maria, Maria und Salome.

Und wie Paulus,
der der Gemeinde in Tessalonich
und auch in Frickenhausen schreibt:

Wir wollen euch nicht im Unklaren lassen, liebe Brüder und Schwestern, wie es mit denen aus eurer Gemeinde steht, die schon gestorben sind.
Dann braucht ihr nicht traurig zu sein wie die übrigen Menschen, die keine Hoffnung haben. Wir glauben doch, dass Jesus gestorben und auferstanden ist. Ebenso gewiss wird Gott auch die Verstorbenen durch Jesus und mit ihm zusammen zum ewigen Leben führen.

Jesus war nur der Erste.

Amen.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen